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Mit dem Bösen reden

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Die Juristerei ist eine tolle Sache. Sie teilt die Welt, zumindest in der Theorie, penibel in gut und böse, richtig und falsch. Grautöne sind vom Prinzip her ausgeschlossen: Was nicht verboten ist, ist erlaubt; wer von einem Gericht nicht verurteilt wird, hat als unschuldig zu gelten.

In der internationalen Politik liegen die Dinge komplizierter, sehr viel komplizierter sogar. Recht und Gerechtigkeit sind hier im Wesentlichen eine Frage wirtschaftlicher und militärischer Macht. Dafür ist schon die Konstruktion des Weltsicherheitsrats ein Garant, der seinen ständigen Mitgliedern - und damit auch deren engsten Verbündeten - ein Veto-Mandat zugesteht. (Und sogar der bisher weitestgehende Versuch einer Verrechtlichung, die EU, zeigt, wie schwer es insbesondere großen Nationen fällt, sich an vereinbarte Regeln zu halten.)

Dennoch ist die Welt für Völkermörder und Aggressoren ein wenig unsicherer geworden. Dafür hat auch die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs gesorgt, der sich die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf seine Fahnen geheftet hat. Seit Montag prangt auch das Antlitz Muammar Gaddafis auf den Steckbriefen.

Dagegen kann eigentlich kein vernünftiger Mensch etwas sagen. Gaddafi hinter Gittern zu sehen ist in der Tat eine zartsüße Vorstellung.

Allerdings erhöht diese Entscheidung der Richter den Einsatz für alle Beteiligten weiter. Gaddafi und die Seinen wissen jetzt, dass es für sie keine geruhsame Exil-Lösung geben wird. Ihr Kampf ums schiere Überleben wird noch verbissener geführt werden. Auch für den Westen ist jede Kompromisslösung in Libyen noch weiter weg gerückt.

Ob das alles besonders klug war, wird sich erst im Nachhinein zeigen. Wenn Gaddafi stürzt und in Den Haag vor Gericht steht, haben alle alles richtig gemacht. Wenn nicht, hat einmal mehr der Westen mit seinen großspurigen Versprechungen von Recht und Gerechtigkeit Schiffbruch erlitten.

Im Privatleben mag es ungehörig sein, sich alle Optionen offen zu halten. In der Politik verhindert die wilde Bereitschaft zum Kompromiss mitunter Schlimmeres. Nicht immer, aber doch. Und manchmal erzwingen sogar die eigenen Umstände ein Reden mit den Bösen. Die USA lernen diese Lektion gerade in Afghanistan. "Kriege werden nun einmal so beendet", kommentierte dies trocken der scheidende US-Verteidigungsminister. Europa hat diese schmerzhafte Erfahrung noch vor sich.