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Jemens Armee ist gespalten, Protestbewegung pocht auf Demokratie.
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Sanaa. Mit Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh ist innerhalb von elf Monaten der vierte arabische Machthaber vom eigenen Volk gestürzt worden. Wie der tunesische Diktator Ben Ali, der ägyptische Präsident Hosni Mubarak und Libyens Langzeit-Herrscher Muammar Gaddafi hielt Saleh zunächst mit allen Mitteln an der Macht fest. Der Tod hunderter Demonstranten konnte ihn genau so wenig beeindrucken wie massiver Druck aus Washington und der EU. Anfang Juni wurde Saleh nach einem Angriff auf seine Residenz schwer verletzt, er trug Verbrennungen am ganzen Körper davon und musste nach Saudi-Arabien zur Behandlung. Aufgeben wollte Saleh, der seit 1978 den Norden des Landes und ab Anfang der
90er Jahre auch den Süden beherrschte, nicht.
Graue Theorie
Am Mittwoch unterzeichnete Saleh nach 33 Jahren an der Staatsspitze die Machtübergabe. Er wirkte entspannt, räumt er den Präsidenten-Sessel doch zu großzügigen Konditionen. Saleh bleibt weitere drei Monate offiziell Staatsoberhaupt, übergibt die Amtsgeschäfte aber an seinen Vize Abd Rabbo Mansour Hadi. Der soll eine Übergangsregierung unter Einbeziehung der Opposition bilden, die ein Gesetz beschließen wird, wonach Saleh Immunität zugesichert wird. Weitere 60 Tage später soll ein neuer Präsident gewählt werden. Der setzt dann laut Plan ein Komitee ein, das die neue Verfassung ausarbeitet. Schließlich stimmt das Volk über die neuen Gesetze ab. Gekrönt werden soll der Prozess durch freie und demokratische Parlamentswahlen.
Dieser Fahrplan ist reine Theorie, denn das politische System des Jemen ist kompliziert gestrickt. Unzählige Akteure, die in Demokratien im Regelfall keine Rolle spielen, machen ihre Ansprüche geltend. Saleh hat einen komplizierten Machtausgleich zwischen der Zentralgewalt in Sanaa und den verschiedenen Stammesführern betrieben, mit einer Mischung aus Zugeständnissen und Drohungen ein äußerst fragiles Gleichgewicht hergestellt. Dazu kommt, dass der ehemals kommunistische Süden des Landes wieder eigene Wege gehen will. Im Norden kämpfen schiitische Rebellen seit Jahren gegen die Zentralregierung in Sanaa. Nicht zu vergessen die Al-Kaida, die in den unzugänglichen Regionen des Jemen ihre Ausbildungscamps hat, die vor allem den USA ein Dorn im Auge sind. Den Jemen zu regieren sei so, wie auf den Köpfen von Schlangen zu tanzen, lautet der berühmteste Ausspruch Salehs.
Nun werden die Karten im Jemen neu gemischt, was die Situation nicht ungefährlicher macht. Denn ein großer Teil der jungen Demonstranten, die seit Februar auf den Straßen protestieren, sind mit dem von Saleh und den Oppositionspolitikern in Saudi-Arabien unterzeichneten Abkommen nicht einverstanden. Sie wollen Saleh vor Gericht stellen und für die Verbrechen, die dieser während seiner Amtszeit begangen hat, zur Verantwortung ziehen. Am Donnerstag kam es deshalb zu Ausschreitungen in Sanaa, wieder wurden fünf Protestierende von Sicherheitskräften erschossen. Die Demonstranten befürchten, dass die Macht von einem Clan auf den anderen übergeht und ihre Forderungen nach mehr Demokratie links liegen gelassen werden. Nach Ansicht vieler Experten wird sich die von vielen jungen Menschen getragenen Demokratiebewegung nicht zwischen den Machtinteressen einzelner Familien aufreiben lassen. Die Demonstranten, die seit Monaten gegen Tränengasgranaten und Scharfschützen angehen, beanspruchen künftig eine wichtige Rolle, so Kenner des Landes.
Ein General hat das Sagen
Die derzeit mächtigste Figur im Jemen ist wohl Brigadegeneral Ali Mohsen al-Ahmar, Kommandeur der Ersten Motorisierten Division, die über schwere Waffen verfügt. Al-Ahmar ist im März mit seinen Soldaten desertiert, seine Einheiten kontrollieren die nördlichen Bezirke der Hauptstadt Sanaa. Ihm gegenüber stehen militärische Kräfte, die Präsident Saleh und seinem Clan treu ergeben sind. Angeführt werden diese Soldaten von Ahmed Ali Abdullah Saleh, dem Sohn des scheidenden Präsidenten und Yahya Muhammad Saleh, dem Neffen.
Der unter der saudischer Federführung verfasste Vertrag über den Abgang des jemenitischen Präsidenten beinhaltet keine Lösung für den Konflikt zwischen dem Saleh- und dem Al-Ahmar-Clan. Letzterer ist seit Generationen enorm einflussreich, wenig im Jemen geschieht ohne seinen Segen. Beide Seiten sind schwer bewaffnet und stehen sich unversöhnlich und kampfbereit gegenüber. Sollte Al-Ahmar ans Ruder kommen, würde das im Westen übrigens auf wenig Gegenliebe stoßen. Der General hat tief gehende Verbindungen zu radikalen Sunniten, Mitgliedern der Moslembrüder und andere Extremisten, die von den USA als gefährlich eingestuft werden. Diese haben in seinem Stab ein gewichtiges Wort mitzureden.