In der multi-religiösen Schule ist fremdenfeindliches Mobbing kein Thema.
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Wien. Samir Jukić kann es kaum erwarten, die überraschten Blicke seiner Freunde zu sehen, wenn er nach seiner Schule gefragt wird. "Ich sage gleich: Ich gehe in eine katholische Privatschule." Sofort kommen die Fragen: "Wie geht das? Du, als Moslem?" Doch Jukić ist stolz auf seine Schule. "Du kannst hier alles sein, du wirst anerkannt. Das habe ich noch nie erlebt. Neben der Kapelle gibt es einen Gebetsraum für Muslime. Der ist super ausgestattet, mit Teppichen und Spülbecken."
Das Schulzentrum Friesgasse in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus hat ein betont multikulturelles Profil und legt Wert auf Respekt gegenüber allen Religionen. Es ist eine Einrichtung der Kongregation der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau und kann auf eine mehr als 150-jährige Geschichte zurückblicken. 1860 gründeten die Schulschwestern zunächst ein Waisenhaus, später folgte ein Asyl für her-bergslose Fabrikmädchen. Mit Spendengeldern von Kaiser Franz Josef wurde eine Hauptschule errichtet. Der Neubau umfasst heute mehrere Schultypen - Kindergarten, Volksschule, Kooperative Mittelschule, Handelsschule mit HAK-Aufbaulehrgang und AHS. 1400 Schüler mit 40 Muttersprachen und 20 Religionsbekenntnissen besuchen das Schulzentrum. Beim mehrsprachigen Redewettbewerb "Sag’s Multi" schafften es zwei Schüler ins Finale (Preisverleihung am Donnerstag).
"Hochqualifizierte Bildung für jene, die keinen Zugang dazu haben" - das sei immer das Anliegen des Ordens gewesen, betont die Schulleiterin Karin Kuttner von den Schulschwestern: "Wir kümmern uns um die, die möglicherweise auf der Strecke bleiben." Das Motto sei: "Durch Erziehung die Welt verändern." Zur Zeit des Jugoslawienkriegs wurden etliche Flüchtlinge aufgenommen, darunter auch viele Muslime. Damals fiel die bewusste Entscheidung, sich als multi-kulturelle und multi-religiöse Schule zu verstehen. "Hier hat die Religion ihren Platz", unterstreicht Kuttner. Man sei eine katholische Privatschule, die offen für alle Kulturen und Religionen ist.
Samir Jukićist Schulsprecher der Handelsschule. Früher besuchte er eine Schule im Burgenland. "Dort erlebte ich keine so starke Anerkennung." Seine Mitschüler sagen dasselbe. "Ich bin vorher in eine HTL gegangen, hatte aber nicht das Gefühl willkommen zu sein. Man wollte keine Ausländer", erinnert sich Byron, dessen Eltern von den Philippinen stammen. Jetzt sei das anders. "Hier sind sehr viele Religionen. Es ist wie in einer Familie und man wird anerkannt." Jimmy teilt diese Meinung: "In der vorigen Schule wurde ich von den Schülern gemobbt; die meisten waren Österreicher. Ich wurde nicht toleriert, auch bei den Lehrern war ich mir nicht sicher." In die Friesgasse wurde er "sofort akzeptiert". Jimmy ist syrisch-orthodox, seine Mutter kommt aus der Türkei.
Auch Alem aus bosnischem Elternhaus fühlt sich hier wohl. In der Berufsschule war das anders: "Ich war einer von vier Ausländern unter 400 Schülern. Alle haben mich so komisch angeschaut. Hier ist das komplett anders. Es gibt so viele verschiedene Religionen und doch so viel Gemeinsames. Alle Feste werden gleich gefeiert." Alem gefällt, dass zu den Feiertagen - gleich welcher Religion - nie Tests stattfinden. Alem arbeitet samstags im Supermarkt, um für sich und seine Schwester das Schulgeld aufzubringen.
Wen man im Schulzentrum auch anspricht - ob Christ, Muslim, Jude oder Sikhs: Jeder betont, wie stolz er ist, hier Schüler zu sein und zum Zusammenleben beitragen zu können. Den Kontrast zu früheren Schulen erwähnen viele: "Meine alte Schule war total gegen Ausländer." Wer vorher ebenfalls eine Schule mit vielen Zuwanderern besucht hat, beklagt die Gruppenbildungen, die es dort gegeben hat.
Zu wenig österreichisch?
Armin, einem österreichstämmigen Schüler, stört zuweilen die häufige Betonung anderer Kulturen: Österreich könne dabei auf der Strecke bleiben. "Am Anfang habe ich mich gefragt: Was soll das? Mittlerweile empfinde ich es als Bereicherung." Der Schulsprecher Samir Jukić betont: "Wir sind in Österreich und müssen wissen, was Österreich ist. Armin ist der einzige Österreicher, der sich so für seine Kultur einsetzt. Ich unterstütze ihn." Auch Alem hat Verständnis für Armin: "Alle sind stolz auf ihre Nationen. Sobald du aber sagst, ich bin stolzer Österreicher, wirst du als Nazi abgestempelt. Das ist nicht fair."
Möglicherweise wurde auch Armin durch negative Schulerfahrungen geprägt: "In meiner früheren Schule waren lauter Ex-Jugoslawen, die sich zusammengetan haben und mich als Österreicher permanent gemobbt haben. Ich konnte nichts machen, war wehrlos, selbst wenn ich nur am Gang gegangen bin. Sie waren jünger als ich, aber kräftiger und brauchten Aufmerksamkeit."
Auf die heimische Kultur wird nicht vergessen. Die Schüler besuchen beispielsweise regelmäßig das Burgtheater. Professorin Antonia Himmel-Agisburg berichtet, dass sie dabei einmal einen ehemaligen türkei-stämmigen Schüler getroffen habe, der das Theater seiner Freundin als Teil seiner Identität gezeigt hat. Samir Jukić wiederum gefällt besonders das multireligiöse Gebet für den Frieden. "Das ist super, weil alle Religionen zusammenkommen. Aus Koran und Bibel wird rezitiert, die Textstellen sind gar nicht so verschieden." In jeder Woche gestaltet es eine andere Religionsgruppe in der Schulkapelle. "Das ist das Zentrum unserer Schule", meint Himmel-Agisburg.
Vorige Woche fand ein Projekttag statt, bei dem die Schüler diskutierten, welche Bedeutung Geld, Tod und Feste in ihren Religionen haben. Oft überwogen die Gemeinsamkeiten - Fasten gibt es bei allen oder Trauzeugen bei den Hochzeiten. Es gibt auch Unterschiede: Auf den Tod folgt bei den Christen der Himmel, bei den Muslimen das Paradies, einfach nichts bei Schülern ohne Bekenntnis, die Wiedergeburt bei den Sikhs. Gemeinsam ist fast allen das Bekenntnis: "Wir sind religiös."