Die Unabhängigkeitserklärung vom Sonntag ist problematisch. Aber überhaupt nichts zu tun hätte nichts gelöst. Die sonst krebsgangfreudige EU hat diesmal viel weitergebracht. | Einen neuen Staat, noch dazu einen Zwergstaat, durch Abspaltung von einem größeren Gebilde zu etablieren, ist keine Sache des Herzens, sondern der politischen Räson. UNO, USA und EU haben lang genug herumgebastelt, um eine glattere und somit bequemere "Verhandlungslösung" zu ermöglichen.
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Die Geschichte war nicht aufzuhalten - eine etwas verblümte Formulierung der Tatsache, dass dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes auf Kosten des Prinzips staatlicher Unversehrtheit zum Durchbruch verholfen wurde.
In diese Richtung ist der Zug abgefahren. Die EU hat die Weichen und Signale bis in die entscheidende Parlamentssitzung in Pristina gestellt. Wichtig ist jetzt allein, dass der Zug fährt. Hinnehmen muss man, dass einzelne EU-Staaten wie Spanien oder die Slowakei den schönen Eindruck einer EU-Geschlossenheit vermasseln, weil für sie Selbstbestimmung eine zweischneidige Sache ist.
In die spanische Innenpolitik übersetzt, trägt der Kosovo den Namen Baskenland. Aber da hat der EU-Sonderbeauftragte für den Balkan, Erhard Busek, uneingeschränkt recht: Eine Nichtanerkennung Kosovos würde das Baskenproblem auch nicht aus der Welt schaffen.
Österreich steht auf der Seite derer, die den neuen Staat bald anerkennen werden. Das hat in der Behandlung der Jugoslawien-Problematik schon Tradition. Man kann das Dilemma, das sich aus staatlichen Zerfallsprozessen ergibt, an der Pole-Position zwischen Alois Mock und Franz Vranitzky deutlich machen.
Außenminister Mock war Anfang der neunziger Jahre längst der Meinung, dass die Geschichte ihren Lauf nehmen und man somit die neuen Republiken Kroatien und Slowenien anerkennen müsse, während Bundeskanzler Vranitzky aus zweifellos aufrichtigen Gründen mehr vor dem bangte, was kommen könnte - und auch kam, nämlich Krieg am Balkan. Vranitzky stattete noch im April 1990 Jugoslawien und den Gedenkstätten des verstorbenen Staatschef Tito, also den staatlichen Einheitssymbolen, einen offiziellen Besuch ab, obwohl die Konstruktion damals nicht mehr zu retten war.
Am 8. Juli 1991, als Slowenien bereits seine Unabhängigkeit erklärt hatte, warnte der Bundeskanzler im Nationalrat vor einer Anerkennung und verglich die Jugoslawien-Frage mit der - trotz diplomatischer Anerkennung unlösbaren - Westsahara-Frage.
Heute, da mit den beiden Ländern Kroatien und Slowenien bereits große Territorien des einstigen Vielvölkerstaates Jugoslawien zur europäischen Wohlstandszone gehören, kann man natürlich sagen, dass Vranitzky auf dem falschen Dampfer gesessen ist (das passierte ihm übrigens auch bei seiner Blitzreise zum DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow im November 1989).
Aber nachträglich weiß man es immer besser. Der jetzige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat offenbar die alten Akten studiert und scheint in der Kosovo-Frage trittsicherer zu sein. Aber auch er handelt bloß politisch und hat kein Weltamt für Völkerrecht hinter sich, das garantieren könnte, dass alles gut geht.
Wir dürfen aufatmend feststellen, dass das Ansehen der EU seit den Balkan-Kriegsjahren so unübersehbar geworden ist, dass sogar die serbischen Wähler mehrheitlich einen Pro-EU-Kurs favorisieren, obwohl sie die Kosovo-Politik der EU hassen. Auch in diesem Punkt hat offenbar die Geschichte ihren Lauf genommen.
So merkwürdig die krebsgangfreudige EU in ihrer Vielfalt und Behäbigkeit oft erscheint - realpolitisch hat sie es wieder einmal weitergebracht. Südosteuropäische Völker sehen außerhalb der Europäischen Union, wenn sie genau hinschauen, nur wenig Zukunft.