Das Spannungsfeld Intimität versus Öffentlichkeit zeugt von einem Wandel.
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Art Basel im Juni 2004: Am Vorplatz des Gebäudes, in dem jährlich die international angesagteste Kunstmesse stattfindet, stehen Menschen Schlange. Sie wollen alle eines: aufs Klo und zwar auf ein ganz besonderes. Die Künstlerin Monica Bonvicini hat hier ein rundum verspiegeltes, voll funktionstaugliches Toilettenhäuschen aufgestellt. Von außen uneinsehbar, kann man im Inneren mit Blick auf den Messeplatz seine Notdurft verrichten. Sich nicht beobachtet zu fühlen, fällt trotzdem schwer. Das WC als Ort des Rückzugs, der Abgeschiedenheit, des Zu-sich-Kommens, als den Peter Handke das Klosett in seinem jüngsten Buch "Versuch über den Stillen Ort" beschreibt, rückt beim Benützen der Kunst-Installation in weite Ferne. Zu durchlässig erscheint hier die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit. Eine Grenze, die es nicht immer gab.
Jahrhundertelang erfolgte die Tätigkeit, der wir durchschnittlich acht Minuten pro Tag widmen, in der Öffentlichkeit frei von Scham. Vor allem die Latrinen der alten Römer gingen in die Kulturgeschichte ein. Nicht nur, weil die besten Dichter der Zeit dort rezitierten. Bis zu 80 Personen konnten in mosaikverziertem und fußbodenbeheiztem Ambiente auf dicht aneinander gereihten Marmorsitzen Platz nehmen. Unter ihnen floss Wasser mit Kurs auf die cloaca maxima. Die gut durchlüfteten Anlagen waren als Orte der sozialen Interaktion äußerst beliebt. Dieser kommunikative Aspekt dürfte auch die Macher der Anwaltsserie "Ally McBeal" begeistert haben, werden die wichtigsten Belange einer jeden Folge doch stets in der Unisex-Toilette der Kanzlei diskutiert. Die entsprechenden Szenen sollen übrigens in den USA viel zur Beliebtheit von Gemeinschaftstoiletten beigetragen haben.
Steinbänke mit Löchern
Die Geschichte des Lokus beginnt aber längst nicht bei den altrömischen Wohlfühloasen und endet freilich nicht bei "Ally McBeal". Bereits 2800 vor Chr. baute man in die Häuser auf den Orkneyinseln Nischen mit Abzugsgräben ein. Steinbänke mit Löchern und darunter liegenden Wasserläufen gab es auch im antiken Griechenland und Ägypten, in Mesopotamien und im Industal. Archäologische Überreste im Palast von Knossos lassen darauf schließen, dass der sagenumwobene König Minos zuweilen auf einem Holzsitz mit Wasserspülung thronte. Erstaunlich auch der Fund, den chinesische Archäologen in der Provinz Henan machten: einen rund 2000 Jahre alten Abort aus der Han-Dynastie, bei dem die Konstrukteure nicht nur an die Wasserspülung, sondern auch an eine Klobrille gedacht hatten.
Von derlei Gewieftem war im Mittelalter nichts mehr bekannt. In Europa gerieten nach dem Zerfall des römischen Imperiums sämtliche sanitärtechnischen Errungenschaften in Vergessenheit. Als Erkenntnisquelle war von nun an nur mehr die Bibel relevant. Doch sogar sie hält eine Antwort auf das so heikle Thema parat. An einer Stelle des fünften Buch Mose im Alten Testament wird geraten, die Notdurft weit weg vom Lager zu verrichten und mit einer Schaufel zu verscharren. Gott würde es nämlich gar nicht gefallen, "Schändliches" unter einem seiner Schäfchen vorzufinden. Er muss ziemlich sauer gewesen sein, als er durch die stinkenden Gassen der Ortschaften zog. Nur jene Klöster, die sich eines sogenannten Necessariums glücklich schätzten, sowie Burgen mit diversen Abtrittswinkeln entkamen den schlimmsten Auswüchsen des Schwarzen Todes.
Es war in England anno 1596, als ein Herr namens John Harrington das erste Wasserklosett mit Spülkasten und Ventilverschluss ersann. Doch die Zeit war noch nicht reif für eine solche Revolution. Selbst seine Taufpatin Queen Elizabeth I. wollte auf die Erfindung namens "Ajax" lieber verzichten. Zu groß soll ihre Sorge gewesen sein, dass die lärmende Klospülung den ganzen Palast über den königlichen Gang zur Toilette informieren würde. Erst 1775 wagte Alexander Cummings, ebenfalls in Großbritannien, einen weiteren Vorstoß. Siphon hieß sein Zauberwort. Nun war das moderne WC komplett. Nur ein entsprechendes Kanalisationssystem fehlte noch. Bis die meisten Städte über ein solches im 19. Jahrhundert verfügten, bediente sich das Gros der Bevölkerung weiterhin eher mittelalterlicher Methoden, während der Adel zunehmend an mobilen Toilettestühlen gefallen fand.
Ludwig XIV. hielt nachweislich sogar Audienzen darauf. Das Licht der Aufklärung, jenes Zeitalters, in dem sich zunehmend ein Bewusstsein für Hygiene Bahn brach, bewies in der Öffentlichkeit dennoch seine Strahlkraft. Auf den belebten Plätzen der Städte sorgten mit Eimern und Umhängen ausgestattete Abtrittanbieter für Erleichterung.
Auf die älteste, noch intakte, zudem unterirdische öffentliche WC-Anlage darf übrigens Wien stolz sein. 1905 im Jugendstil errichtet, lockt die am Graben installierte und als Sehenswürdigkeit gepriesene Anstalt nicht nur jene an, die einmal müssen.
Gut beheizte Brille
Heute gilt das Vorhandensein eines WCs als Selbstverständlichkeit. Funktionalität und Sauberkeit reichen als Qualitätskriterien aber schon längst nicht mehr aus. International arbeiten Gestalter daran, dass aus der physischen Notwendigkeit ein sinnliches Erlebnis wird. So wirken die Toiletten exklusiver Restaurants und renommierter Unternehmen nicht selten wie die Visitenkarte des Hauses. Auch im Privatbereich mögen manche Extrakomfort: Beheizte Klobrillen oder sich sanft und leise automatisch senkende Klodeckel stellen dabei nur einen Bruchteil dessen dar, was das moderne Toilettendesign zu bieten hat. All das lässt mitunter vergessen, dass derzeit noch immer 2,6 Milliarden Menschen keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Sanitäranlagen haben. Millionen von ihnen, darunter vor allem Kinder, sterben jährlich aufgrund der dadurch bedingten Krankheiten.
Jack Sim aus Singapur macht deshalb in Sachen Toilette mobil. 2001 gründete er die World Toilet Organization (WTO) und rief sogleich den 19. November als jährlichen Welttoilettentag ins Leben, was die Vereinten Nationen unterstützen. Denn ihre Zielvorgabe lautet, den Anteil der Weltbevölkerung ohne sanitäre Grundversorgung bis 2015 zu halbieren. Ein Vorhaben, das auch einem der reichsten Männer der Welt ein Anliegen ist. Kein anderer als Bill Gates schrieb letztes Jahr im Rahmen seiner Stiftung, der Bill and Melinda Gates Foundation, unter dem Motto "Reinvent the Toilet" einen Wettbewerb aus. Auch das Wiener Designbüro EOOS nahm gemeinsam mit dem Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag daran teil. Das Team erhielt einen Anerkennungspreis von 40.000 US-Dollar. Die sogenannte "diversion toilet", in der Design-Wissen mit technischem Know-how verschmilzt, soll als Trockentoilette mit integrierter Wasseraufbereitungsanlage funktionieren. Weder Kanalisation, noch Wasser- oder Stromanschluss werden dafür benötigt. Ganz im Gegenteil: Durch die Trennung von Urin und Kot entstehen dank Mikrofiltrationen sogar sauberes Wasser und Energie. 500 Dollar darf die Beschaffung einer Anlage kosten, den einzelnen Benützer nicht mehr als 5 Cent pro Tag abverlangen. Es ist noch ein Stück Forschungsarbeit nötig, bis die Innovation auch praktisch zur Anwendung gelangt. Auch an der Überwindung kultureller und lokalpolitischer Hürden wird noch einiges zu leisten sein. Setzt sich das Modell aber durch, würde es nicht nur den Lebensstandard in Entwicklungsländern heben. Auch in den Industriestaaten könnte es im Sinne eines bewussteren Umgangs mit natürlichen Ressourcen Verbreitung finden. Für eine dahingehende Entwicklung spricht die Tatsache, dass allein in Österreich ein Haushalt täglich 25 Liter Trinkwasser zur Spülung des WCs verbraucht.