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Mit dem Mut der Verzweiflung

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Der "Tankman" am Tiananmen wurde zum Symbol für Courage und zivilen Widerstand.


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Peking. Montag, 5. Juni 1989: Eine bleierne Schwere lastet auf dem Chang’an-Boulevard, der Peking von Osten nach Westen durchzieht; die Luft schmeckt nach Rauch und Zerstörung. Immer wieder erzittert die Erde, die anrollenden T-69 Panzer sind so schwer, dass sie den Asphalt eindrücken. Etwa eine Fahrminute vom abgesperrten Tiananmen entfernt tritt plötzlich ein junger Mann in dunkler Hose und weißem Hemd auf die Straße, in seinen Händen hält er Einkaufstaschen. Er tritt einer Kolonne von mehr als einem Dutzend Panzern entgegen und stoppt sie. Das vorderste Kettenfahrzeug will ausweichen, doch der Mann stellt sich wieder in den Weg. Und noch einmal, das stählerne Ungetüm steht jetzt fast auf seinen Zehen. Schließlich klettert der Unbekannte sogar auf den Panzer, brüllt auf die Soldaten im Inneren ein, bis er nach einer Minute wieder herabsteigt. Die Plastikeinkaufstaschen hält er auch dann noch umklammert, als ihn Passanten in die Sicherheit der Anonymität zerren.

Bis heute sind die Identität des Mannes und sein weiteres Schicksal ungeklärt. Möglicherweise war es ein 19-jähriger Student mit dem Namen Wang Weilin, vielleicht ein Arbeitersohn, eventuell ein Besucher aus der Provinz - er hat sich nie gemeldet. Doch mit den Bildern seiner Aktion wurde er weltberühmt und zu einer Ikone des zivilen Ungehorsams. Geschossen hat sie der Associated-Press-Fotograf Jeff Widener aus einem Zimmer des Beijing Hotels - mit zitternden Händen. Der Film musste in der Unterhose eines Freundes zur amerikanischen Botschaft geschmuggelt werden. Die ebenfalls gefilmte Fortsetzung jener Episode ist zwar weniger bekannt, jedoch ebenso symbolisch für jenen Tag: Nach der kurzen Unterbrechung rollen die Panzer unbehelligt weiter in Richtung Tiananmen.