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Mit dem Rad gegen den Zusperr-Zwang

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Die Frage nach dem Shopping am Sonntag sagt viel über unsere Zukunftsfähigkeit aus.


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Es gibt zugegebenermaßen wichtigere Probleme in diesem Land als die Frage, ob es erlaubt sein soll, am Sonntag die Geschäfte offen zu lassen, wenn Unternehmer und Arbeitnehmer das so wollen. Jene Touristen, die Wien derzeit stürmen, als wäre es eine Art Venedig mit Gratisbier für alle, können ihr Geld ja genauso gut in Bratislava ausgeben und sich in Wien damit begnügen, die Auslagen anzuschauen, war ja schon immer so, und überhaupt, da könnte ja jeder kommen. Eh.

Aber auch für sich genommen überschaubar relevante politische Entscheidungen zeigen mitunter, wie fit, beweglich und anpassungsfähig ein Gemeinwesen insgesamt ist, wenn es in einer schwierigen Situation wie eben derzeit überlebensfähig gemacht werden muss. Oder eben nicht.

Gemessen daran, wie unglaublich zäh der Kampf um ein bisschen mehr unternehmerische Freiheit am Sonntag seit Jahrzehnten ist, gibt es hier leider nicht allzu viel Anlass zu Optimismus. Das zeigt, auf teils schon unterhaltsame Art, die jüngste in diesem ewigen Ringen entstandene Front.

Ausgangspunkt ist der Wiener Lieferdienst Mjam Market, der auch am Sonntag in Teilen Wiens neben dem Essen aus Restaurants Produkte aus dem Supermarkt nach Hause liefert. Das ist für die Kunden fein, für die Fahrradboten, die damit Geld verdienen auch, aber natürlich ein Angebot, dass die erzwungene Sonntagsruhe der Supermärkte irgendwie ad absurdum führt. Dass deren Ware am Sonntag zwar zugestellt, aber von den Kunden nicht selbst aus dem Laden geholt werden darf, kann man nicht einmal in der Welt der österreichischen Sozialpartnerschaft logisch erklären.

Dass Mjam Market am Sonntag liefern darf, hängt damit zusammen, dass für dieses Unternehmen fast ausschließlich Boten unterwegs sind, die nicht angestellt sind, sondern selbständig arbeiten.

Mjam Market hat im Übrigen ein ziemlich gutes Argument parat, warum das auch aus Arbeitnehmersicht kein Problem sein kann: Die Fahrer seien ja ohnehin immer am Sonntag unterwegs, um Essen aus Restaurants zuzustellen, woran niemand Anstoß nehme - warum also nicht auch bei der Gelegenheit einen Liter Milch oder eine Tiefkühlpizza zustellen? Man wird dagegen auch als borniertester Vertreter der Zusperr-Fraktion nichts einwenden können.

Wenn aber Lieferdienste am Sonntag die Funktion von Nahversorgern übernehmen dürfen - mit welcher Logik kann man noch die stationären wie Spar oder Billa zum Zusperren zwingen?

Noch ist offen, wie das Gezerre ausgehen wird. Die österreichische Lösung wäre: Die Fahrradboten brauchen in Zukunft einen Taxischein, müssen aber am Sonntag zuhause bleiben. Oder so.

Aber schon der bloße Umstand, dass in diesem Lande erwachsene Menschen mit erheblichem Aufwand von Zeit, Geld und juristischer Energie jahrelang darum ringen, ob nur warme oder auch tiefgefrorene Pizzen von wem an welchen Tagen zugestellt werden dürfen ist nicht wirklich ein belastbarer Hinweis darauf, dass wir als Gemeinwesen fit genug sind, uns den nicht gerade kleinen Problemen unserer Tage so zu stellen, wie das notwendig wäre.