Zum jüdischen Neujahr gehen sogar säkulare Juden in die Synagoge. | Das Blasen des Horns zu hohen Feiertagen geht auf die Zeit Moses zurück. | Den Abschluss bildet das Versöhnungsfest Jom Kippur. | Wien. Wenn der Schammes, also der Synagogendiener, des Wiener Stadttempels in das Horn bläst, ist ihm die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Nicht jeder schafft es, dem Schofar Töne zu entlocken. Im jüdischen Jahreskreislauf kommt das Horn vor allem zu und rund um Rosch ha-Schana sowie Jom Kippur zum Einsatz. Rosch ha-Schana (auf Deutsch: Kopf des Jahres), das Neujahrsfest, markiert den Beginn der Hohen Feiertage (die auf Hebräisch eigentlich Tage des Lichts heißen), den Abschluss bildet Jom Kippur, der Versöhnungstag.
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Während mit Pessach das religiöse Jahr beginnt, setzt mit Rosch ha-Schana das neue jüdische Jahr ein. In dieser Zeit bereut man die Fehler des vergangenen Jahres und nimmt sich vor, es im kommenden Jahr besser zu machen. Automatismus bedeute das aber keinen, betont der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. Nur wer aktiv bereut, kann die Verfehlungen des Vorjahres abstreifen.
Rosch ha-Schana beginnt nach dem jüdischen Kalender, der sich an den Mondphasen orientiert, heuer am Mittwoch Abend. Am darauffolgenden Donnerstag und Freitag besuchen auch viele ansonsten säkular lebende Juden, die während des laufenden Jahres keine fleißigen Synagogen-Geher sind, den Gottesdienst. Und hören dabei dem Klang des Schofars zu.
Das Hören sei ja wichtiger als das Blasen, betont der Schammes. Denn in der Tora stehe, man müsse das Schofar hören. Doch er betont: Natürlich sei es eine Ehre, das Horn in der Synagoge blasen zu dürfen. Meist macht dies ein Rabbiner. Doch auch jeder andere, der dem Schofar Töne entlocken könne - und die jüdischen Gesetze befolge -, dürfe das Horn blasen.
Sein Vater habe ein Schofar besessen, diesem aber keinen Ton abringen können, erzählt der Schammes. Nach dessen Tod habe er es versucht und geschafft - und ein Freund habe ihm dann auch den richtigen Umgang mit dem Horn, die Spielweise beigebracht. Seit etwas mehr als 15 Jahren lässt er nun das Schofar im Wiener Stadttempel erklingen.
Da nicht klar überliefert worden ist, wie genau die Tonabfolge von langem, drei kürzeren, neun noch kürzeren und erneut einem langen Ton erfolge, bläst man heute verschiedene Variationen, damit auch ja die richtige dabei ist. Zu dem Schofar des Vaters haben sich über die Jahre viele andere Hörner gesellt - der Schammes nennt eine kleine Sammlung sein Eigen. "Es sind alte Stücke, die meisten 100 bis 150 Jahre alt."
Dass Widderhorn erinnerte an das Einhalten der Gebote
Das Schofar-Blasen zu den Hohen Feiertagen geht auf die Zeit Moses zurück, so Rabbiner Hofmeister. Nachdem Moses die zwei Steintafeln mit den zehn Geboten beim Anblick des Goldenen Kalbes, um das die Juden während seiner Abwesenheit tanzten, zerbrochen hatte, stieg er erneut auf den Berg Sinai, um die Gebote ein zweites Mal zu erhalten. Während sich Moses auf dem Berg aufhielt, bliesen die im Tal gebliebenen Menschen täglich ein Widderhorn, um sich auf diesem Weg selbst daran zu erinnern, die Gebote von nun an zu befolgen. Daraus entwickelte sich der Brauch, das Schofar zu blasen.
Gefertigt wird ein Schofar im Allgemeinen aus dem Horn eines Widders. Unter jemenitischen Juden gibt es eine einmalige Tradition, wonach sowohl ein Widderhorn als auch das Horn einer Schirrantilope als Schofar verwendet werden kann. Das Horn wird ausgehöhlt, ausgekocht, manchmal geradegebogen oder aber auch mit Schnitzereien verziert. In früheren Zeiten fungierte es auch als eine Art Kommunikationsmittel - wie die Buschtrommel oder das Rufen des Muezzins, sagt der Synagogendiener.
Andere, heute gepflogene Bräuche sind weit jünger, erzählt Rabbiner Hofmeister. Rund 1500 Jahre alt ist etwa die Tradition, das neue Jahr süß zu begrüßen, damit es ein süßes Jahr wird: mit Äpfeln, die in Dattelhonig - heute auch Bienenhonig - getaucht werden. Auch ein anderer Rosch ha-Schana-Brauch ist kulinarischer Natur: sefardische Juden kredenzen einen Schafskopf (oder heute oft nur das Fleisch eines Schafskopfes), Aschkenasen Fisch, der mit Kopf angerichtet wird.
Gang zum Donaukanal am Donnerstagabend
Für den Brauch, zu einem fließenden Wasser zu gehen und diesem die Sünden des Vorjahres mitzugeben, indem man Brotkrümel oder kleine Steinchen ins Wasser wirft ("Taschlich"), gibt es keine genaue Datierung. "Dies ist ein seit jeher höchst umstrittener Brauch, dessen Symbolik bereits von den deutschen Rabbinern des Mittelalters als Aberglaube verurteilt wurde", so Rabbiner Hofmeister.
Es sei besser, zum Wasser zu gehen, ohne irgendetwas hineinzuwerfen, und sich vielmehr in diesem ernsten Moment, durch Beobachtung der Fische, auch die eigene Vergänglichkeit bewusst zu machen. In Wien wird dazu meist an den Donaukanal gegangen - dieses Jahr am Donnerstag vor Sonnenuntergang.
Beendet werden die Hohen Feiertage mit Fasten: Zu Jom Kippur darf einen Tag lang weder gegessen noch getrunken werden. Im Zentrum soll die Beschäftigung mit geistigen Dingen stehen, konkret: das Sündenbekenntnis sowie der Vorsatz, im neuen Jahr - die jüdische Zeitrechnung schreibt nun 5771 - Verfehlungen zu vermeiden.