Zum Hauptinhalt springen

Mit dem Tod auf Stimmenfang

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Ungarns Premier Orbán will sich als Rechtsradikaler und Mann der harten Hand profilieren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Budapest. Wenn Viktor Orbán seine jüngste Idee wahr macht, könnte Ungarn eines Tages nicht nur aus der EU, sondern sogar aus dem Europarat hinausgeworfen werden. Nicht alle 47 Mitgliedsländer des Europarats sind Demokratien, aber alle haben die Todesstrafe abgeschafft oder wenden sie zumindest als Bedingung für ihren Beitritt nicht mehr an, weil dies die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet. Die Tötung als Justizakt widerspricht dem europäischen Grundkonsens, ungeachtet anderer Differenzen. Außenseiter ist hierbei nur noch Weißrussland.

Jetzt aber hat der rechtsnationale Orbán diese populistische Idee aufgewärmt, zumal er mit dem größten Popularitätsverlust seit seinem Amtsantritt zu kämpfen hat. Anlässlich eines Mordfalls im südwestungarischen Kaposvár, bei dem eine 21-jährige Verkäuferin getötet wurde, sagte der Ministerpräsident, man müsse "die Todesstrafe auf der Tagesordnung behalten", denn es habe sich gezeigt, dass die von seiner Regierung durchgesetzte Verschärfung des Strafrechts ungenügend sei.

Orbán ist wegen des Vormarschs der rechtsradikalen Partei Jobbik auf Stimmenfang. "Herr Orbán versucht, mit seiner ausländerfeindlichen Initiative und seiner Plauderei über die Todesstrafe als der wirkliche und zugleich mächtigste Rechtsradikale zu erscheinen", sagte der linke Philosoph und gute Orbán-Kenner Gaspar Miklós Tamás der "Wiener Zeitung". Allerdings hat auch Ungarns sozialistischer Ministerpräsident Gyula Horn im Jahr 1996 nach einer Serie von Bombenattentaten in Budapest mit der Todesstrafe geliebäugelt - doch wurde dies dank des damaligen liberalen Innenministers Gábor Kuncze schnell von der Tagesordnung gestrichen.

Strafrecht Ungarns eines der strengsten in Europa

Ein Blick auf die Zahlen lässt jedoch vermuten, dass Orbáns Schreckensszenario über die Kriminalität in Ungarn so nicht stimmt. Die Zahl der Gewaltverbrechen war vor 1990, als das Land die Todesstrafe abgeschafft hat, höher als danach. "Ungarns Polizei ist eine der besten der Welt", sagte Gábor Ligeti der "Wiener Zeitung". Als Jurist von Transparency International ist Ligeti sonst kein Bewunderer ungarischer Behörden. 90 Prozent der Gewaltverbrecher würden gestellt - das sei eine sehr hohe Quote. Dass die Todesstrafe Verbrecher nicht abschreckt, zeigt auch das Beispiel USA.

Ohnehin ist Ungarns Strafrecht nach Orbáns Reformen eines der strengsten Europas. Polizisten dürfen mutmaßliche Gewalttäter bis zu 72 Stunden lang ohne Zustimmung eines Untersuchungsrichters festhalten. Das Recht auf Selbstverteidigung mit Todesfolge für einen Aggressor wurde ausgeweitet. Von Menschenrechtlern wird besonders kritisiert, dass Richter bei lebenslangen Freiheitsstrafen verfügen dürfen, dass eine vorzeitige Entlassung ausgeschlossen wird.

Den Mordfall von Kaposvár hatte ein banaler Faktor beeinflusst, den die Orbán-Regierung zu verantworten hat: Er geschah bei einem Überfall auf eine Trafik. Die sind nach einer neuen Regelung verpflichtet, ihre Fenster blickdicht zu halten, damit der Anblick der Zigarettenpäckchen im Interesse der Volksgesundheit nicht zum Kauf verführt. Tatsächlich aber bietet dies auch Verbrechern Schutz. Die Zahl der Überfälle auf Trafiken in Ungarn ist nach Einführung dieser Regelung sprunghaft angestiegen.

Orbán aber will sich jetzt als Mann der harten Hand profilieren - und zwar mit Pseudo-Themen. Dazu gehört neben der Kriminalität auch die Asylpolitik. Hierzu hat er eine "nationale Konsultation" gestartet, bei der die Bürger gefragt werden, ob Asylwerber sofort ausgewiesen, eingesperrt und für die Dauer ihres Aufenthalts in Ungarn zur Arbeit gezwungen werden sollen.

Dabei gibt es gar keinen Ansturm von Asylanten auf Ungarn. Zwar ist die Zahl der Einreisenden aus den Krisenregionen gestiegen, aber 80 Prozent dieser Flüchtlinge nutzen Ungarn nur zur Durchreise. Orbán "konsultiert" das Volk gelegentlich mit Brief-Aktionen, in denen er Suggestivfragen stellt. Dies dient nur der Propaganda, denn es handelt sich dabei weder um korrekte Referenden noch um professionelle Meinungsumfragen. Die Bürger schicken freiwillig ausgefüllte Bögen an die Regierung zurück.

Laut aktueller Umfrage des Instituts Ipsos steht Orbáns Partei Fidesz mit 21 Prozent an einem Tiefpunkt, gefolgt von Jobbik mit 17 Prozent. "Man glaubt Herrn Orbán nicht mehr", sagt der Philosoph Tamás. "Er wird ausgelacht, ist als ein korrupter, langweiliger und gestriger Verlierer verpönt." Nicht Orbán, sondern Jobbik würde von der Ohnmacht des Mitte-Links-Lagers profitieren. "Mit diesem Diskurs popularisiert Herr Orbán nur die autoritären Ansichten der extremen Rechten und befindet sich auf dem sicheren Weg zur Niederlage."

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der provisorische Kabinettsrat zwar die Verfassung der Zwischenkriegszeit in Kraft, das Strafgesetz von 1852 samt Todesstrafe blieb aber weiter bestehen. Erst am 7. Februar 1968 erfolgte durch ein Bundesverfassungsgesetz die endgültige Abschaffung der Todesstrafe in Österreich, berichtet die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. 20 Jahre später, 1988, unterzeichnete Österreich die UN-Konvention zur Abschaffung der Todesstrafe.

Abgeschafft wurde die Todesstrafe erstmals aber schon viel früher: Unter Joseph II. wurde sie 1787 im ordentlichen Verfahren aufgehoben. Acht Jahre später, 1795, führte Kaiser Franz II. für das Vergehen des Hochverrates die Todesstrafe wieder ein.

Todesstrafe in Österreich