Deutschlands liberaler Verkehrsminister bemüht sich gegen das Aus von Pkw mit Diesel- und Benzinmotoren.
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Lausige bundesweite Umfragewerte und fast durchgehend desaströse Ergebnisse bei Landtagswahlen, das ist die ernüchternde Zwischenbilanz der deutschen Liberalen seit ihrer Regierungsbeteiligung im Dezember 2021. Nur fünf bis sieben Prozent würden heute die FDP wählen, bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 erreichten die Freien Demokraten noch 11,5 Prozent. Der Einzug in die Landtage im Saarland und in Niedersachsen wurde im vergangenen Jahr verpasst, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen flog die FDP aus der Landesregierung. Bis dato letzter Misserfolg war die Wahl zum Berliner Landesparlament. Dort schafften die Liberalen im Februar nicht den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in das Abgeordnetenhaus.
In der Koalition mit SPD und Grünen im Bund wollte die FDP jene Kraft sein, die für finanzpolitische Solidität steht. Doch auf Russlands Angriff auf die Ukraine reagierte Deutschland mit der "Zeitenwende" samt Extra-Milliarden für die marode Bundeswehr. Um die hohe Inflation abzufedern, wurden drei Entlastungspakete beschlossen, das letzte im Dezember mit einem Volumen von 65 Milliarden Euro. Keine Möglichkeit also für FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner, seine Kernanliegen durchzusetzen. "Wir haben ein massives Ausgabeproblem", sagte er zuletzt. Viele politische Projekte seien nicht nachhaltig finanziert kritisiert Lindner die eigene Regierungspolitik. Daher könne er nicht wie geplant am morgigen Mittwoch die Eckwerte für den Haushalt 2024 ins Kabinett einbringen.
Lindners Muskelspiel mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll der FDP wieder Profil verleihen. Auch der liberale Verkehrsminister Volker Wissing sorgt dieser Tage für Schlagzeilen. Er blockierte eine Abstimmung der EU-Staaten über das geplante Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab dem Jahr 2035. Darauf hatten sich EU-Parlament, Kommission und Mitgliedsländer grundsätzlich im vergangenen Jahr verständigt. Wissing möchte, dass Pkw mit Verbrenner aber auch nach 2035 zugelassen werden dürfen, sofern diese mit klimaneutralen, synthetischen Kraftstoffen betrieben werden können.
Kein Konsens in Berlin bedeutet Enthaltung in der EU
Für diese sogenannten E-Fuels sprechen sich nun auch Italien, Polen und Tschechien aus - Länder, die über große Fahrzeugindustrien verfügen und fürchten müssen, dass mit dem Verbrenner-Aus künftig deutlich weniger Menschen in den Autofabriken benötigt werden.
"Ein Verbot des Verbrennungsmotors, wenn man ihn klimaneutral betreiben kann, halten wir für falsch", erklärt Wissing. Er zieht sich damit den Unmut von Umweltministerin Steffi Lemke zu. "Deutschland unterstützt ein Ende des Verbrennungsmotors für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge in der EU ab 2035", richtete die grüne Kabinettskollegin aus. Allerdings, so lange die Koalition keine einheitliche Linie findet, muss sie sich auf europäischer Ebene der Stimme enthalten.
Unzufriedenheit herrscht selbst in der eigenen Parteienfamilie. Frankreichs liberaler Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, er könne den großen französischen Pkw-Herstellern Renault und Stellantis - unter dieser Dachmarke sind auch Peugeot und Citroen vertreten - nicht sagen, sie müssten auf Elektroautos umstellen und ihnen dann ausrichten, man halte doch noch ein bisschen am Verbrennermotor fest. Le Maire nennt das "industriepolitisch gefährlich". Industriepolitik führt aber auch Wissing ins Treffen. Er argumentiert, dass Deutschland zu den Ländern zählt, welche die heutige Verbrennertechnologie am besten beherrschen. Diese Entwicklung solle nicht abgebrochen werden.
Von dieser Sichtweise hält einer der einflussreichsten Sozialdemokraten in Deutschland nichts. "Alle Automobilunternehmen haben ihre Investitionsplanungen konsequent darauf ausgerichtet, auf die Elektromobilität umzusteigen", sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Das Bundesland hält ein Fünftel der Stimmrechte bei Volkswagen, Weil ist dort Aufsichtsratsmitglied. Beim VW-Konzern, zu dem unter anderem Porsche, Audi und Skoda gehören, entfallen zwei Drittel des gesamten Investitionsbudgets von rund 180 Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren in die Bereiche Elektromobilität und digitale Vernetzung.
"Bummelzug" contra "Beißreflexe"
Verkehrsminister Wissing setzt also auf ein Thema, bei dem die Hersteller bereits Fakten schaffen. Das mag innenpolitisch Wähler Richtung FDP treiben, ist doch der Autosektor - auch in emotionaler Hinsicht - ein Herzstück der deutschen Industrie. "Das deutsche Ansehen in Brüssel jedenfalls, das kann man mit Sicherheit sagen, ist durch dieses plötzliche Manöver beschädigt worden", konstatiert Ministerpräsident Weil. Dazu kommt, Dissens steigert zwar die Medienpräsenz der Politiker. Allerdings goutieren Wähler nur selten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalitionsparteien. Die FDP kalkuliert aber damit, dass sie mehr mobilisiert als abschreckt.
So läuft es bereits bei einem anderen verkehrspolitischen Thema: Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Wissing setzt sich vehement für die "freie Fahrt für freie Bürger" ein. Weil im vergangenen Jahr im Verkehrsbereich die CO2-Ziele deutlich verfehlt wurden, fordern die Grünen 130 km/h und sehen den Minister im "Bummelzug beim Thema Klimaschutz". Die FDP attestierte daraufhin dem Koalitionspartner "ständige Beißreflexe". Fortsetzung folgt bestimmt demnächst.