Die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe "Train of Hope" konnte sich dank der Erfahrungen aus dem Jahr 2015 rasch neu organisieren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eine Familie, ein Mann um die 70 mit zwei sichtlich schweren, prall befüllten Plastiktaschen links und rechts in Händen. Eine Frau im selben Alter. Eine weitere im Tochteralter des Paars mit Reisetasche. Ein Jugendlicher, ein Mädchen ganz in Rosa. Eine solche bunt gemischte Truppe würde man bei einer "Sport & Fun"-Halle kaum erwarten - und doch geht sie in jene in Wien-Leopoldstadt. Es ist eine Familie aus der Ukraine, die das Ankunftszentrum von "Train of Hope" erreicht hat.
Sie ist nicht ganz typisch: An den Tischen sitzen nur vereinzelt erwachsene Männer, dafür viele Frauen. Manche sind beim Essen, andere telefonieren. Es gibt Steckdosen zum Aufladen. Einige Kleinkinder spielen im Krabbelbereich. Nur zwei Kinder toben sich auf der verbleibenden Freifläche in der Halle aus: "Am Nachmittag ist das der gefährliche Bereich", sagt Nina Andresen, dann wuselt es hier vor Kindern mit Bobbycars, Rollern oder mit Ball.
Nina Andresen war schon bei den Freiwilligen am Westbahnhof mit dabei, die später gemeinsam "Train of Hope" gründeten, als damals ab August 2015 Flüchtlinge aus Syrien kamen. Bis vor Kriegsbeginn war sie nun im Corona-Krisen-Management, davor bei einem Integrationsprojekt. Nun nützt sie ihren Zeitausgleich dafür, auch 2022 wieder als Ehrenamtliche Geflüchtete beim An- und Runterkommen vor der Weiterreise zu unterstützen. Genauso wie Manuela Ertl, die den Verein im Oktober 2015 offiziell gründete, "um die ehrenamtlichen unfall- und haftpflichtversichern zu können". Sie war und ist als einzige angestellt beim Vereins-Spin-off "House of Hope", einem Flüchtlingsintegrationsprojekt, das sie leitet. Bei "Train of Hope", auch beim Social Bazar, arbeiten nach wie vor alle ehrenamtlich, aber wie Profis organisiert.
Professionelle Strukturen
Ertl hat 2015 nicht erst am Bahnhof mit Flüchtlingshilfe begonnen. In der Nähe von Traiskirchen wohnhaft, hat sie immer wieder Menschen in der Erstaufnahmestelle geholfen: "Ich konnte nicht tolerieren, dass Kinder in Traiskirchen im Dreck leben", sagt sie heute. "Es ist doch selbstverständlich, was zu tun, wenn Menschen Unterstützung brauchen", sagt Andresen. "Jeder alleine ist nur ein kleines Rädchen, aber gemeinsam sind wir viele", ergänzt Ertl. Das war 2015 so und ist es auch heute noch.
Konkret sind die vielen, die in der Halle heute arbeiten rund 40 bis 50 Personen auf einmal. Im 24-Stunden-Betrieb wechseln sich rund 200 ab. Neulinge - manche auch nur mit einigen Stunden oder einmalig Zeit - kommen über where2help.wien dazu.
Jene mit den gelben Westen sind die mit ukrainischen oder russischen Sprachkenntnissen. Sie erklären den Neuankömmlingen, was sie hier und bei den nächsten Stationen in Österreich erwartet. Wegen Corona sind nicht nur die "zu Tode desinfizierten Tische" anders: Antigenschnell-Test-Station, PCR-Test-Station am Beginn. Für Corona-Positive nach der Schnellauswertung im Akutlabor gibt es ein Quarantänequartier.
Dann wird der Bedarf an Schlafplätzen erhoben, auch Haustiere. Es ist der Grund dafür, dass das für eine Halle ungewöhnlich ruhige Gemurmel einmal durch Hundebellen unterbrochen wird. Ob jemand einen Bus braucht oder eigenes Auto für die Weiterreise hat, ob Spezielles benötigt wird, etwa Barrierefreiheit für eine Rollstuhlfahrerin. Die Erste Hilfe übernehmen Profis von Johannitern und Rotem Kreuz, Rezepte für Medikamente gibt es von Arzt oder Ärztin. "Zum Beispiel bei Schmerzen. Um die Versorgung von Kriegsverletzungen geht es nicht", sagt Andresen. "Noch nicht", verbessert sie sich. "2015 am Bahnhof kamen dann später auch damit welche an."
Karin List-Erhart von der Akutbetreuung der Stadt Wien ist speziell für traumatische Belastungen, auch nach Unfällen ausgebildet. Sie unterstützte bereits Kriegsflüchtlinge aus Bosnien in den 1990ern. Aktuell kümmert sie sich um jene, die weinen, depressiv wirken, "oder etwas mehr Zeit brauchen". Etwa für die Bürokratie: Sie musste beispielsweise einer Frau in Ruhe erklären, dass sie wegen der Unterschrift auf dem Meldezettel keine Angst haben brauche, Wien nicht mehr verlassen zu können. "Menschen Ängste nehmen, nach der Flucht durchatmen, eine warme Mahlzeit ist für das Ankommen etwas ganz Wichtiges", sagt Andresen. Nach einigen Stunden geht es weiter in andere Bundesländer oder ein Schlafquartier für die ersten Nächte in Wien. Grundversorgung beantragt wird hier noch nicht, es wäre zu viel auf einmal.
Empathie und langer Atem
Voraussetzung für die ehrenamtliche Hilfe ist "Empathie und etwas Koordinationsfähigkeit", sagt Andresen. Arbeit gibt es genug: Kinderbetreuung, Essen zubereiten, Spenden sortieren. "Wir kommunizieren auf Social-Media, was uns fehlt. Aktuell sind es Hygieneartikel", darunter Bürsten, Waschmittel in der Tube, Deos. "Im Zweifel einfach nachfragen", auch das Antworten gehört zu den Aufgaben.
Kinder freuen sich über "kleines Spielzeug, dass man in der Jackentasche mitnehmen kann": Matchbox-Autos, Action-, Tier-Figuren, kleine Buntstifte-Sets. "Das Puppenhaus kann eine Mutter nicht auch noch zu einer Unterkunft transportieren. Und es gibt keine Tränen, wenn zu filigranes Spielzeug kaputt geht." Selbstgebackenes dürfe man aus Hygienegründen nicht annehmen.
Für Kleidung habe man keinen Platz mehr: "Es ist natürlich frustrierend, wenn man gesammelt hat und dann niemanden findet, der das jetzt braucht." Sie vertröstet die Menschen auf später: "Menschen brauchen länger Unterstützung, auch wenn sie nicht mehr an Bahnhöfen sichtbar sind." Von offizieller Seite wurde 2015 die Wertschätzung kleiner, manchmal nicht mal Förderzusagen eingehalten wurden, ergänzt Ertl und sagt in Richtung ÖVP: "Am enttäuschendsten war, dass dieselben, die uns 2015 bejubelt und ausgezeichnet haben, ab 2016 zu Willkommensklatschern geframt haben."
Desillusioniert sind beide trotzdem nicht. Ertl muss weg, mit dem Innenministerium internationalen Gebärdendolmetsch für die mittlerweile mehr als 100 Gehörlosen aus der Ukraine in Wien zu organisieren. "Wir versuchen nicht nur, das Notwendige, sondern alles Mögliche zu bieten", erklärt Andresen die Rote-Nasen-Clowns, die einen Jugendlichen am Nachbartisch gerade zum Lachen bringen. Vor kurzem waren die Superhelden der Charity Heros zu Gast: "Das hat die Kinder sehr gefreut und die Mütter haben Fotos gemacht. Wir wollen auch erste positive Erinnerung nach der Flucht schaffen". Wichtige Fotos übrigens auch für die in der Ukraine zurückgebliebenen Väter.