New York - Zu Kriegsbeginn glaubte jeder an einen schnellen Durchmarsch des alliierten Invasionsheers nach Bagdad. Aber am zweiten Kriegswochenende im Irak sah es nicht mehr nach einem schnellen Sieg der USA und ihrer Verbündeten aus. Die Lage vor Bagdad, Nassiriyah und Basra erinnert inzwischen an mittelalterliche Belagerungen, wie Militärexperten sagen. Mit einem Frontalangriff auf die vor Bagdad verschanzten irakischen Elitetruppen rechnen sie nicht.
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"Die Verluste wären außerordentlich", erklärt General a.D. John Abrams. "Was immer die US-Militärstrategie sein wird - es wird ein chirurgischer, entschlossener Prozess sein. Das kann keine improvisierte, spontane Aktion sein". Deshalb würden jetzt erst einmal die sechs in Bagdad vermuteten Divisionen der Republikanischen Garde von Präsident Saddam Hussein aus der Luft bekämpft - mit Raketen und Marschflugkörpern, die von Kriegsschiffen abgefeuert werden, mit den Bomben von Kampfflugzeugen und der Feuerkraft von Kampfhubschraubern. Der schwere Beschuss des Bagdader Informationsministeriums in den letzten Tagen soll die Kommunikationsstränge der Führung zu ihren Fronteinheiten zerschlagen und damit verhindern, dass sie über das Kriegsgeschehen immer auf dem Laufenden ist.
Der Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, US-General Tommy Franks, hat in den letzten Tagen keine große Eile mehr erkennen lassen - oder gar für notwendig erklärt. Vielen Einheiten wurde Zeit zum Neuformieren und zur Versorgung mit Nachschub gegeben. Alles laufe nach Plan, betonten das Oberkommando in Katar und das Washingtoner Verteidigungsministerium.
Dass die irakische Gegenwehr doch nicht so eingeplant war, sagte bisher nur ein Frontkommandant. Generalleutnant William Wallace vom 5. Heereskorps sagte den US-Zeitungen "New York Times" und "Washington Post", die Pentagon-Strategen hätten Ausdauer und Zähigkeit der irakischen Kämpfer unterschätzt. Insbesondere auf fanatische paramilitärische Truppen wie die Fedajin mit ihren Überraschungsangriffen und vorgetäuschten Kapitulationen sei man nicht vorbereitet gewesen. "Wir wussten, dass sie da waren, aber wir wussten nicht, wie sie kämpfen", sagte Wallace. "Der Feind, gegen den wir kämpfen, ist anders als der, gegen den wir in Manövern übten."
"Städtekampf ist primitiv"
In Basra, Nassiriyah, Kirkuk und Bagdad warten die irakischen Truppen darauf, die Angreifer in einen Kampf um jedes Haus zu verwickeln. US-Soldaten haben das seit 1968, bei den Kämpfen um Hue in Vietnam, nicht mehr gemacht. "Die amerikanische Doktrin ist nicht auf den Städtekampf ausgerichtet", sagt der britische Militäranalyst William Hopkins. "Städtekampf ist sehr chaotisch und ziemlich primitiv." Über die Iraker sagt der Forscher des Londoner Instituts für Strategische Studien: "Wenn man selbst keine besonders hoch entwickelte Ausrüstung hat, ist es ein Schritt in die richtige Richtung, den Gegner auf die eigene Stufe hinunter zu bringen - indem man ihn zwingt, Zimmer um Zimmer mit Handgranaten und Gewehr zu kämpfen."
Nach dem ersten irakischen Selbstmordanschlag am Samstag hat Vizepräsident Taha Yassin Ramadan erklärt, dies gehöre von nun an zur "normalen Militärpolitik". Bei dem Angriff auf einen US-Kontrollposten an der Autobahn nach Najaf waren vier US-Soldaten getötet worden. Ramadan räumte die technologische Überlegenheit der amerikanischen Waffensysteme ein - und setzte religiösen Fanatismus dagegen.
Für John Voll, Fachmann für islamische Angelegenheiten der Georgetown University in Washington, könnte ein lang andauernder Krieg Irak zum Magneten für islamische Extremisten aus vielen muslimischen Ländern machen. "Wenn es eine amerikanische Besetzung gibt, wird der Irak auf einen Spitzenplatz der Liste für den Dschihad (den Heiligen Krieg) im internationalen Netzwerk der Islamisten rücken", sagt er.