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Mit der Kalaschnikow unter der Tuchent?

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

"Wie gegen einen Bandenführer seid ihr mit Schwertern und Knüppeln ausgezogen, um mich gefangen zu nehmen." Das sagte der unbewaffnete Jesus, als ihn eine Hundertschaft im Garten Gethsemane abführte. Der Haftbefehl des Hohepriesters: Gotteslästerung, weil Jesus sich Messias nannte.


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An diese Szene im Evangelium des Matthäus (26, 53) erinnert der Polizeieinsatz in Österreich, um Minderjährige abzuschieben. Ein Dutzend Polizisten mit Sturmgewehren holt achtjährige Zwillingsmädchen aus den Betten, lässt ihnen keine Zeit zum Packen ihrer Kuscheltiere und steckt sie bis zur Abschiebung in den Kosovo in ein Gefängnis. Warum derart überfalls artig? Bestand etwa Gefahr, dass die Mädchen mit schussbereiten Kalaschnikows unter der Tuchent lauern? Gehört es zum Gewaltmonopol einer Kulturnation, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen?

Dann gleich der nächste Fall. Vier Polizisten holen eine 14-jährige Armenierin aus dem Unterricht im Gymnasium und stecken sie in Schubhaft. Die Mitschüler sind fassungslos ob dieser martialischen Aktion, der Direktor ist schockiert über diese "Ordnungshütung" ausgerechnet mitten im Unterricht. Vollzug eines gesetzeskonformen Befehls fragt eben nicht nach Psychologie. Am Fall der beiden Zwillingen sticht besonders dies ins Auge: Die für Polizei und Ordnungshütung verantwortliche Innenministerin Maria Fekter räumte hinterher "Fehler" ein und bekundete ihr Bedauern, obschon sie sich sonst von kindlichen "Rehaugen" nicht beeindrucken ließ.

Weshalb sich die Frage aufdrängt, worin der Fehler bestand. Holte die bewaffnete Polizei Kinder "nach Vorschrift" oder wegen des Verdachts aus den Betten, die Mädchen würden sich mit Kalaschnikows wehren? Welche Einsatzpläne gelten für welche Situationen - also auch für die Festnahme von zwei Achtjährigen? Wer befahl diese polizeiliche Übermacht zum Einsatz? Welcher Bürostratege verantwortet den Imageverlust der Polizei, die doch sonst Schulen nur als liebenswürdiger Verkehrserzieher aufsucht? Oder lenkte der Zufallsgenerator den Plan zum Aufgriff schlafender Achtjähriger und den Einsatz von vier Polizisten gegen eine Gymnasiastin mitten im Unterricht? Wie auch immer, die Verantwortung für diese blamablen Einsätze liegt bei der Innenministerin am oberen Ende der Befehlskette.

Dazu noch eine absonderliche Proportion. Österreich hat zu wenig Polizisten, weshalb überzählige Postler das Fach wechseln sollen. Obendrein müssen unsere Ordnungshüter leisten, wofür sie überqualifiziert sind: Papierkram, weil die Innenministerin kein Geld hat, um tüchtige Sekretärinnen anzuheuern. Aber für den Aufgriff dreier Mädchen steht polizeiliche Übermacht zu Gebote.

Ob die Innenministerin mit alledem politisch punktet oder nicht, ist schnuppe, denn Minister sind auswechselbar. Ungleich ärgerlicher ist, dass die Polizei irgendjemandes weltfremden Befehl ausgeführt und deshalb Schaden genommen hat. Sie ist nämlich nicht auswechselbar.

Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".