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Mit der Kirche ums Kreuz

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Mit den Worthülsen "politische Entscheidung" und "Kompromiss" reden Politiker ihre Fehlentscheidungen schön. Der Volksmund trifft’s eher.


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Nehmen wir an, Alfred Mustermann hält auf dem Wiener Innengürtel vor einer Kreuzung und muss sich entscheiden: nach rechts oder links? Wenn er weiß, dass das AKH, in dem seine Schwiegermutter auf seinen Besuch wartet, rechts liegt, wird er natürlich rechts abbiegen. Es scheint fraglich, ob er damit schon eine Entscheidung getroffen hat. Dank seiner Ortskenntnis stellte sich ihm ja erst gar nicht die Richtungsfrage.

Ein ortsfremder Mustermann hingegen wird in einer solchen Situation zum Stadtplan greifen. Nach Konsultation der Karte wäre das richtige Rechtsabbiegen nach Lehrmeinung der Philosophen auch in diesem Fall keine Entscheidung mehr.

Führe Mustermann aber entgegen seinem Wissen oder dem Stadtplan links oder geradeaus, würden wir sehr an seinem Verstand zweifeln. Es sei denn, er wäre Politiker. Von denen erwarten wir geradezu Entscheidungen entgegen ihrer Erfahrung und ihrem (Ge)Wissen. In der Politik würde die Entscheidung für rechts oder links auf geradeaus hinauslaufen. Bestbezahlte Regierungsberater würden uns einen Umweg zum AKH über Spittelauer Lände und Währinger Straße stadtauswärts als die vernünftigere Streckenvariante plausibel machen.

Wenn Sie oder ich solcherart Unsinn produzieren, haben wir eine klassische Fehlentscheidung getroffen und tragen die Folgen. Anders bei den Politikern. Da würde der Unsinn der Fahrt mit der Kirche ums Kreuz als "politische Entscheidung" verniedlicht. Daraus lernen wir: Bei Politikern gibt es nicht falsche, sondern politische Entscheidungen. Leider haben sie mit den falschen der Plebs gemein: Diese hat auch hier die Folgen auszubaden.

Nicht zu verwechseln ist die politische Entscheidung mit ihrem leichtfertigen Bruder, dem Kompromiss. Er sucht nicht nach der Wahrheit der einzig richtigen Lösung, sondern beendet einen Konflikt durch beiderseitigen Teilverzicht auf gestellte Forderungen, die allesamt schlecht für das Gemeinwohl sein können.

Womit wir beim Missbrauch des Wortes "Kompromiss" angelangt sind. Da wären zum Beispiel die Verhandlungen über die Lohnforderungen der Beamten. Offiziell werden sie mit einem Kompromiss enden, in Wahrheit aber mit einer politischen Entscheidung, also mit einer - wir sagten es schon - Fehlentscheidung. Weil die Erhöhung der Beamtengehälter um ein Prozent die österreichischen Steuerzahler 110 Millionen Euro jährlich kosten würde und diese schon mit geschätzten 340 Milliarden Euro oder 120 Prozent des BIP überschuldet sind (Bund mit allem was dazugehört, Länder und Gemeinden). Deshalb dürfte die einzig richtige Antwort an die Beamtengewerkschafter nur lauten: "Nichts geht mehr."

Dass das Verhandlungsergebnis letztlich unter der Forderung der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst liegen wird, wird die Philosophen sehr wohl beschäftigen. Zum Beispiel mit der Frage, ob das Zugeständnis der Regierung nun als Fehlentscheidung zu gelten hat oder als Kompromiss gehandelt werden darf. Wer allerdings rechnen kann und dabei an Griechenland denkt, hat wenigstens diese eine Sorge weniger.