120 Grad heißes Wasser aus der Erde wird doppelt genutzt. | Anlage geht um Ostern ans Netz: Produktion von Fernwärme und Strom. | Unterhaching. Unterhaching kann bald rund um die Uhr aus heißem Wasser Fernwärme und Strom erzeugen. Das Kraftwerk arbeitet in einer mit Silberblechen verkleideten Halle im Industriegebiet. Sein "Treibstoff" ist 120 Grad heißes Wasser aus 3,5 Kilometern Tiefe. Pro Sekunde sprudeln bis zu 150 Liter in die mit Technik vollgepackte Halle. Dort wird dem Thermalwasser systematisch die Wärme entzogen. Sie zum Heizen zu nutzen, ist technisch relativ einfach, das machen auch schon andere Gemeinden. Neuland betritt Unterhaching dagegen mit der Produktion von Strom mit Hilfe der sogenannten Kalina-Technik. Derzeit läuft der Testbetrieb. In den nächsten Tagen soll auf Normalbetrieb geschaltet und im Mai die offizielle Übergabe gefeiert werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Normalerweise bräuchte Unterhaching dazu mehrere hundert Grad heißes Wasser. Dank des Kalina-Tricks aber genügen auch schon 90 Grad: Die Wärme des Thermalwassers wird auf ein Wasser-Ammoniak-Gemisch in einem geschlossenen Kreislauf abgegeben, das schon bei niedrigen Temperaturen siedet. Ein Scheidesystem sorgt dafür, dass die Wärme aus jedem Tropfen Thermalwasser verwertet werden kann. Was nicht für die Fernwärme nicht gebraucht wird, geht in die Stromproduktion.
In 15 Jahren amortisiert
Den Strom speist Unterhaching ins Netz ein und kassiert dafür eine Vergütung. In 15 Jahren, so rechnet Unterhaching, werden sich Investitionskosten amortisiert haben. Rund 75 Millionen Euro hat die Gemeinde mit ihren 22000 Einwohnern in die Hand genommen, um die alternative Energieversorgung aufzubauen. "Es ist ein kommunales Projekt, wir haben hier nicht auf die Industrie und den Staat gewartet", betont Wolfgang Geisinger, Geschäftsführer Geothermie Unterhaching.
Der Heißwasserstrom unter der Gemeinde ist gut 800 Meter hoch, seine Ausdehnung in die Länge noch nicht bekannt. Den unterirdischen Schatz wollen nun auch andere für sich nutzen. In den umliegenden Gemeinden herrsche Goldgräberstimmung, sagt Geisinger.
Grund für kleine Beben?
Ein Minierdbeben im 14 Kilometer entfernten Sauerlach, das durch Instrumente des bayrischen Erdbebendiensts erfasst wurde, führte allerdings Anfang Februar zu Debatten über die möglichen Ursachen. In Unterhaching selbst blieb die Erde bisher ruhig. Während der Bohrungen habe es keine nennenswerten Erschütterungen gegeben, sagt Geisinger. Eine seismische Sonde, die Erdbewegungen erfassen soll, habe bisher kaum reagiert.
Die Kräfte, die im Untergrund wirken, sind dennoch groß, das zeigten Erfahrungen am Bohrloch. Der Erddruck hat aber auch Vorteile: Das Wasser muss in der Regel nur auf den letzten 200 Metern hoch gepumpt werden. Die restliche Strecke sprudelt es eigenständig nach oben. Unterhaching geht davon aus, dass stetiger Druckausgleich auch künftig Erdbewegungen verhindern kann. Das Thermalwasser fließt nach dem Wärmeentzug abgekühlt auf etwa 60 Grad zurück in den unterirdischen Strom. Das Einspritzloch ist knapp vier Kilometer vom Förderloch entfernt. In etwa 50 Jahren rechnet die Gemeinde damit, dass mit dem Einsickern des Kaltwassers die Temperaturen an der Förderstelle spürbar sinken. Dann sollte ein neues Loch gebohrt werden.
Neues Fernwärmenetz
Bei vielen Bürgern kommt das Projekt gut an. "Es ist toll, dass wir das machen. Ich war gleich begeistert, als ich von den Plänen hörte. Es ist der große Renner geworden", sagt die Rentnerin Brigitte Schwärzler. Sie gehört zu den ersten 3000 Bürgern, die mit Fernwärme aus der Geothermieanlage heizen. Bis zum Vollausbau des Netzes im Jahr 2020 sollen es 7000 sein. Alle fünf Parteien im Mietshaus, in dem sie wohnt, stimmten für die Erdwärme, berichtet die Rentnerin. Lediglich der Bau des bisher 25 Kilometer langen Fernwärmenetzes habe den Alltag in der Stadt beeinträchtig.
Die 80-Jährige ist gespannt, wie sich mit der Wärme aus der Erde ihre Heizkosten entwickeln. "Die Abrechung wird die große Überraschung sein. Aber sie haben uns versprochen, es wird nicht teurer." Geisinger geht davon aus, dass die Wärme aus der Erde etwa drei bis vier Prozent unter dem Gaspreis bleibt.