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Mit der Kunst kommt das Kapital

Von Christian Lerch

Politik
Ein künstlerisch "revitalisierter" Wasserfall in Hillbrow.

Für verwahrloste Bezirke der südafrikanischen Metropole beginnt der Aufstieg mit Kunst. | Mittellose als Verlierer der Stadtentwicklung. | Johannesburg. "This is Newtown", raunt der Fahrer über die Schulter und deutet in Richtung Fenster des weißen Toyotas. Auf dem Gehsteig neben dem angehaltenen Minibus liegt ein verrosteter Drahtzaun, eng um einen Betonquader geschlungen. Industrieruinen sind hinter hohen Zäunen zu sehen, am Gehsteigrand vor einem Holzverschlag stehen zwei Männer an, um Alkohol zu kaufen. Newtown, so heißt es, gelte mit zahlreichen leeren Fabrikhallen und Werkstätten als künftiger Trendbezirk für Künstler. Diese Entwicklung ist zumindest hier noch nicht sichtbar.


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Der urbane Raum Johannesburgs ist heute in Cluster aufgeteilt, abgetrennt durch aufgelassene Minengelände und Hügel aus gelbem Aushubmaterial. Es ist eine junge Stadt, gegründet im Jahr 1886, um die weltgrößten Goldvorräte zu bergen. Im Zuge des Goldrausches entstanden im Zentrum ein weitläufiges Bankenviertel und später, als der Goldrausch vorbei war, Industriebetriebe an dessen Rändern. Der Londoner Architekt Shahed Saleem sieht Johannesburgs komplexe Struktur durch das Apartheid-Regime geprägt: In seinem Essay "Lost Cities" schreibt er, dass die rassistische Ideologie auf den Stadtraum übertragen wurde und Johannesburg jahrzehntelang nach Rassenzugehörigkeit aufgeteilt war.

Auch heute klare Trennung

Der schwarzen Bevölkerungsmehrheit war es nur tagsüber und zu Arbeitszwecken erlaubt, sich in der "weißen" Stadt aufzuhalten. Die geschichtliche Aufladung des Stadtraumes ist bis heute wahrnehmbar, obgleich nicht mehr ethnische Zugehörigkeit bestimmend ist, sondern Ökonomisches: Reich und Arm leben weiträumig - oder zumindest durch Hochsicherheitszäune - getrennt.

Der Kunstkurator Marcus Neustetter wartet in der President Street am westlichen Eingang zur Innenstadt Johannesburgs. Neu stetter ist einer von zwei Partnern von The Trinity Session, einer Kuratorengemeinschaft, die versucht, durch Kunst im öffentlichen Raum die Geschichte von urbanen Orten aufzuarbeiten und eine Neudefinition zu ermöglichen: "In Johannesburg liegen verschiedene Ebenen unserer nationalen Geschichte übereinander - die meisten dieser Geschichten verschwinden. Wir wollen den Orten eine Identität geben." Als Beispiel zeigt er die von ihm kommissionierte Stahlskulptur "The Fire Walker" des südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Auf der lauten Verkehrsinsel ragen fast sechs Meter hoch weiß und schwarz lackierte Stahlplatten in den Himmel, die nur an den Rändern miteinander verbunden sind. Was aus nächster Nähe als chaotische Struktur wahrgenommen wird, fügt sich aus der Perspektive der vorbeifahrenden Autofahrer zur Silhouette einer Frau zusammen: "Kentridge hat sich erinnert, dass hier die Feuerträgerinnen ihren Sammelplatz hatten. Von kleinen Feuerstellen entnahmen sie glimmende Kohlestücke, die sie in Tonbehältern auf dem Kopf transportierten und in der Innenstadt verkauften."

Abzug des Kapitals

Kentridges Skulptur steht am Eingang zum Central Business District Johannesburgs (CBD). Die Sicherheitssituation in CBD ist mit ein Grund, warum Johannesburg zu den gefährlichsten Städten der Welt zählt. Nach 1994 verließen große Unternehmen das Zentrum, um in der nördlichen Peripherie in Sandton ein neues "sicheres" Wirtschaftszentrum entstehen zu lassen. Zu unsicher, weil Schwarz dominiert, erschien weißen Unternehmern die Situation hier nach dem demokratischen Umbruch.

Sichtbare Stadtgeschichte: "The Fire Walker" verweist in Johannesburg auf Feuerträgerinnen, die einst Glutstücke sammelten. Foto: Lerch

Mit dem Kapital schwand auch die öffentliche Aufmerksamkeit für den Bezirk. Viele der Bürogebäude, Hochhäuser und kolonialen Prachtbauten standen leer oder wurden von Immigranten als illegale Wohnstätten benutzt. Erst bei den Vorbereitungen auf die Fußball-WM wurden die Stadtregierung und private Stadtentwickler auf die verlassene Downtown aufmerksam. 2009 versprach Johannesburgs Bürgermeister Amos Masondo die Aufwertung von CBD, "um die beiden größten Probleme Verwahrlosung der Gebäude und Kriminalität endgültig zu lösen". Johannesburgs Kunstszene wurde in den ambitionierten Plan miteinbezogen. Seitdem werden neben der Verbesserung der Sicherheitssituation durch verstärkte Polizeipräsenz Kunstprojekte in der Innenstadt gefördert. Die Kuratoren von The Trinity Session sind dabei als künstlerische Berater tätig. "Das Kulturamt hat entschieden, dass bei Stadtentwicklungsvorhaben der Johannesburg Development Agency ein gewisser Prozentsatz für Kunst im öffentlichen Raum budgetiert werden muss." Zwar sei das nur ein Prozent des Gesamtbudgets, wenn man "Glück" habe. "Aber die Vorgabe hat viele Künstler mobilisiert, etwas für ihre Stadt zu tun."

Kunst im öffentlichen Raum hat neben der inhaltlichen und ökonomischen Komponente auch eine strukturelle Funktion für die Stadt. Marcus Neustetter ist sich im Klaren darüber, dass Künstler auf diese Weise zu "Agenten" der kapitalgetriebenen Gentrifizierung werden. Ob in New York, London oder Johannesburg: Jene Gegenden, in denen Künstler arbeiten und leben, werden zu Zielobjekten der Stadtentwicklung.

Werden die politisch Verantwortlichen durch Kunstobjekte auf eine scheinbar unbelebte Straße aufmerksam, dauert es mitunter nicht lange - und private Investoren legen Entwicklungspläne vor. Zu dieser Entwicklung gebe es laut Kunstkurator Neustetter aber auch keine Alternative, wenn man den urbanen Raum Johannesburgs nicht sich selbst und damit dem wirtschaftlichen und sozialen Ruin überlassen wolle.

Neustetter verdeutlicht dies am Bezirk Hillbrow. An den steilen Hügeln im Norden ragen 80 Meter hohe Wohntürme über die Stadt, die Fenster vieler Gebäude sind zerborsten, Verputz bröckelt von den Fassaden. Hillbrow galt in den 80er Jahren als "europäischer" Bezirk mit Geschäften und Kulturinstitutionen. Heute wagen sich Weiße wie auch südafrikanische Schwarze kaum noch in den Bezirk. Die Bewohner sind Immigranten aus Simbabwe, dem Kongo oder Mosambik, die in "hijacked buildings" wohnen - in Gebäuden, die von Drogenbanden und Kriminellen verwaltet werden.

Südafrika ist das Zentrum der innerafrikanischen Diaspora, wobei die meisten Immigranten aus ländlichen Gebieten stammen und meist mit der Infrastruktur moderner Wohngebäude überfordert sind. Die Folge ist, dass in vielen Häusern Abwassersysteme, Liftanlagen und Wasserleitungen nicht funktionieren. Neustetter erzählt, dass er mit befreundeten Künstlern ohne Wissen der Stadtregierung begonnen hat, einen ehemaligen Wasserfall an den Hügeln zu "revitalisieren". Der Wasserfall wurde durch bunte Mosaiksteine künstlerisch neu erschaffen und daneben ein Treppenaufgang wiederhergestellt und mit Textstellen des südafrikanischen Dichters Phaswane Mpe versehen.

Verlierer der Aufwertung

"Wir sind sensibel vorgegangen, da wir wussten, dass die Bewohner nichts mit der Stadtverwaltung zu tun haben wollten. Die Installation steht immer noch und wertet den Ort auf. Da wir uns für das Gebiet interessiert haben, wurde auch die Stadt letztendlich aufmerksam. Die Stadtverwaltung hat begonnen, Zäune und die Brücke zu reparieren, seit kurzem kauft sie Gebäude auf und macht die Wohnungen wieder legal bewohnbar." Allerdings: Die Mieten steigen dadurch selbstverständlich an, die jetzigen Bewohner werden gezwungen, neue Wohnstätten zu suchen. Sie sind die Verlierer der kommerziellen Aufwertung und Entwicklung des urbanen Johannesburgs.