23.000 Mann sollen die Briten nach neuesten Angaben bereits rund um Afghanistan zusammengezogen haben, unter ihnen schwer bewaffnete Spezialeinheiten, die in der näheren Zukunft im Landesinneren des Taliban-Staates zum Einsatz kommen könnten. Darüber hinaus sind ein Flugzeugträger und drei U-Boote, die unter britischer Flagge fahren, in die US-Militäraktion einbezogen. Die Attacken auf militärische Einrichtungen der Taliban und die Infrastruktur des mutmaßlichen Terrordrahtziehers Osama Bin Laden sind aber nicht die erste Gelegenheit, bei der Großbritannien gegenüber Afghanistan militärische Stärke demonstriert.
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Dreimal waren die Gebirgszüge Afghanistans, das sich während des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts einer Kolonialisierung durch die in Indien sitzenden Engländer hartnäckig widersetzte, Schauplatz langwieriger Feldzüge: Erstmals 1839 bis 1842, ein zweites Mal 1878 bis 1880 und schließlich 1919.
Das erste militärische Eingreifen der Briten 1839 endete mit einem Fiasko: Am Beginn der Militäraktion stand der britische Plan, in Afghanistan eine Marionettenregierung unter Schah Schudscha zu installieren. Das Unterfangen lief alles andere als reibungslos: Im Dezember 1841 waren die arg dezimierten britischen Streitkräfte gezwungen, einen Quasi-Kapitulationsvertrag zu unterzeichnen und den Rückzug aus dem Inneren Afghanistans in Richtung indische Kolonie anzutreten. Der geriet allerdings zu einer Katastrophe und wird in den Geschichtsbüchern als "Todesmarsch" vermerkt: Denn neben etwa 4.500 Soldaten waren 12.000 verwundbare Zivilisten - Bedienstete, Händler, Kinder und Frauen - auf den Feldzug mitgenommen worden. Die Kavallerieskorte des glücklosen Schah Schudscha desertierte schon zu Beginn des Rückzuges, die eisige Kälte des afghanischen Winters, Krankheiten und permanente Attacken afghanischer Stammeskrieger taten ihr übriges: Nach fünf Tagen des Marschierens sollen, wie der Historiker Ludwig W. Adamec in seinem Werk "Dictionary of afghan wars, revolutions, and insurgencies", erschienen in London 1996, beschreibt, 12.000 Menschen umgekommen sein. Die Legende will, dass überhaupt nur ein Mann, ein gewisser Dr. Byrdon, heil in Indien angekommen ist.
Der zweite Krieg lief für die Engländer etwas erfolgreicher: Nach zwei Jahren, zahllosen Schlachten und großen Verlusten konnten sie die Afghanen immerhin dazu zwingen, ihre Kompetenz über alle außenpolitische Belange abzugeben. Eine Situation, die für den ausgeprägten Unabhängigkeitssinn der Afghanen untragbar war. 1919 beschied Regent Amir Amanullah einem britischen Unterhändler, dass sich sein Land von nun an als völlig autonom betrachte: Wenn das jemand in Frage stellen würde sei er bereit, diesem "mit dem Schwert die Kehle durchzuschneiden". (Der britische Gesandte empfahl sich schnell und widerspruchslos, wie Adamec in oben genanntem Buch zu berichten weiß.) Der dritte afghanisch-britische Krieg war somit ausgebrochen. Er dauerte nur ein knappes Monat und endete mit der Akzeptanz der völligen Autonomie Afghanistans durch die Briten.
Interessant ist die letzte Auseinandersetzung deshalb, weil die Briten diesmal auf langwierige Feldzüge verzichten wollten und den Gegner durch überlegene Technik zu beeindrucken suchten - sie setzten erstmals Flieger gegen Afghanistan ein. Am 24. Mai 1919 bombardierten die Engländer in Kabul den Königspalast und eine Munitionsfabrik. Auch über Jalalabad warfen Doppeldecker der erstaunten Bevölkerung Bomben an den Kopf. Der Kriegsverlauf wurde dadurch nicht weiter beeinflusst. Nach der ersten Schrecksekunde stellten sich die Afghanen auf die neue Form der Kriegsführung ein: In der Schlacht bei Bagh an der indisch-afghanischen Grenze mussten englischen Piloten die Erfahrung machen, von den umliegenden Berghöhen mit Gewehren beschossen zu werden.
Danach begannen die Afghanen mit dem Aufbau einer eigenen Luftwaffe: Der erste Flieger in afghanischen Diensten war allerdings ein britisches Gerät, das 1921 im afghanischen Ort Katawaz aus ungeklärter Ursache notlanden musste. Die Afghanen behielten kurzerhand das Flugzeug, den Piloten ließen sie frei.