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Mit einem griechischen Akzent

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

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Christos Zanos ist nervös. Es sind nur noch zwei Tage bis zur Premiere, die Kostümprobe steht bevor. Doch seine Anspannung lässt sich der Regisseur nicht anmerken, während er den Schauspielerinnen und Schauspielern letzte Anweisungen gibt. Die Gruppe sitzt vor der Kulisse aus Pappmaché, hört zu, beobachtet die ruhigen Gesten, mit denen der Spielleiter seine Worte unterstreicht. Zanos spricht Englisch, ein Schauspieler übersetzt ins türkische.

Denn Christos Zanos ist griechischer Zypriote, und einen Großteil des Ensembles stellen türkische Zyprioten. Wenige Stunden davor haben sie sich an der "green line", vor dem Grenzübergang im türkischen Norden getroffen, um gemeinsam in den griechischen Süden der geteilten Hauptstadt Nikosia zu gehen. Sie proben dort "Lysistrata" von Aristophanes.

Es ist die zweite Zusammenarbeit des griechisch-zypriotischen Theaters Satirico und des türkisch-zypriotischen Stadttheaters Nikosia. Denn erst nach der Grenzöffnung im April des Vorjahres konnten die beiden Gruppen sich auf einer Seite treffen. Damals erarbeiteten sie mit einem türkisch-zypriotischen Regisseur ein türkisches Stück auf griechisch. Heuer steht eine altgriechische Komödie auf dem Programm - in türkischer Sprache.

"Wenn Menschen zusammen kommen, dann haben sie kein Problem miteinander. Gerade im künstlerischen Bereich ist das zu sehen", meint die türkisch-zypriotische Schauspielerin Aliye Ummanel. "Es sind die Politiker, an denen eine Lösung des Zypern-Problems scheitert." Auf den Einwand, dass diese Politiker doch auch von Menschen gewählt wurden, antwortet sie: "Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Politiker nicht die Menschen vertreten, sondern aus den Leuten die Politiker sprechen."

So wie beim Referendum im April, als im Süden 75 Prozent der griechischen Zyprioten gegen eine Wiedervereinigung laut Annan-Plan stimmten. "Für mich war das Nein im Süden ein Schock", erzählt Ummanel. "Wir fühlten uns von den griechischen Zyprioten zurückgestoßen." Ja, sie habe ihre Bekannten darauf angesprochen. Die gaben an, mit Ja gestimmt zu haben.

Auf die Enttäuschung im Norden angesprochen, sagt Christos Zanos: "Im Süden wurden wir auch oft enttäuscht." Doch Zynismus liegt ihm nicht, und er versucht zu erklären: "Die zwei Gemeinschaften misstrauen einander immer noch. Ihre Realität war 40 Jahre lang von Blut gezeichnet. Jede Familie hat jemanden verloren, jede hat gelitten." Ein Beispiel dafür ist Zanos' eigene Geschichte, auch wenn er ungern darüber redet. Nach dem Einmarsch der türkischen Truppen 1974 ist er aus der im Norden gelegenen Hafenstadt Famagusta geflohen. "Ich habe meinen Bruder verloren, ich habe alles verloren", ruft er aus.

Doch Christos Zanos ist einer von denen, die für eine Wiedervereinigung gestimmt haben, einer von denen, die nicht willens sind, die Hoffnung aufzugeben. In seiner Arbeit bringt er das zum Ausdruck. "Obwohl so viele beim Referendum Nein gesagt haben, glaubt die Mehrheit weiter an eine Möglichkeit, Frieden zu schaffen." An diese Mehrheit wende sich das Stück, in dem die Frauen Griechenlands und Spartas durch sexuelle Enthaltsamkeit ein Ende des Peloponnesischen Krieges erzwingen. ""Lysistrata" ist unser gemeinsames Erbe, Aristophanes gehört der Welt, und die Botschaft ist klar", erläutert der Regisseur. Dass Theater das Zypern-Problem nicht lösen könne, weiß er. Doch Theater öffne Türen.

Auf der Bühne liefern sich die Frauen und Männer Athens ein Wortgefecht, ermahnen sich gegenseitig, die "green line" nicht zu übertreten. Eine griechisch-zypriotische Schauspielerin hat Schwierigkeiten mit einer Stelle. Das Türkische hat sie gelernt wie Opernsängerinnen einen Text in fremder Sprache. Die Choreografin ist unzufrieden. So gut wären die Tanzszenen bisher gewesen, nun drohe das Ensemble bei einigen auseinander zu fallen.

Doch ich sehe so viel Gemeinschaftsgefühl und Ernsthaftigkeit wie selten auf Zypern. Und dann fallen mir die Worte der Schauspielerin Aliye Ummanel wieder ein. "Durch die Zusammenarbeit mit den griechischen Zyprioten habe ich sie nicht nur näher kennen gelernt", erzählte sie mir. "Sogar mein Englisch hat einen griechischen Akzent angenommen." Es machte ihr gar nichts aus.