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"Mit Europa zündelt man nicht"

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

"Deutschland wird aus Karlsruhe regiert." | Der Euro sei ohne neue Strukturen nicht zu halten, so der Europapolitiker.


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"Wiener Zeitung":Am 7. September urteilen die deutschen Verfassungsrichter über den Rettungsschirm und die Griechenland-Hilfe. Könnte Karlsruhe die Eurorettung kippen?Sven Giegold: Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, wird Deutschland aus Karlsruhe regiert. Das Bundesverfassungsgericht gibt in der Regel Hinweise an den Bundestag, damit dieser sich nicht gleich die nächste blutige Nase holt. Selbst wenn sich die aktuelle Klage noch gar nicht um die Erweiterung des Euro-Hilfsfonds (EFSF) und den künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM) dreht, kann man faktisch bindende Hinweise dazu erwarten.

Klingt, als wären salomonische Urteile zu erwarten?

Das war nicht wertend, sondern beschreibend gemeint. Karlsruhe ist als Hüterin der Verfassung allseits geschätzt. Aus meiner Sicht hat das Gericht in Europafragen aber eine Neigung zu einer national beschränkten Sichtweise, weil man der Demokratisierung auf europäischer Ebene nicht traut. Böse Zungen behaupten, das liegt daran, dass ungeklärt ist, wer höher steht: Karlsruhe oder der Europäische Gerichtshof.

Könnte also ein negatives Urteil zur Eurorettung drohen?

Bisher hat Karlsruhe vor Radikalismen zurückgeschreckt, gerade in der Europa-Politik. Es wurden Grenzen gesetzt, aber nichts zu Fall gebracht. Wir können nur beten, dass es wieder so ist. Die Vermutung ist, dass der Bundestag deutlich mehr Mitspracherechte bei der Vergabe von Geldern erhalten soll. Wenn es exzessiv wird, ist das problematisch, weil die monatelange Kakophonie nationaler Parlamente die Krise eines Landes auf den Finanzmärkten erst so richtig eskaliert.

Es überrascht, dass Sie die parlamentarische Mitsprache beschneiden wollen.

Beim Internationalen Währungsfonds sind auch Gelder aus Österreich oder Deutschland ohne Parlamentsbeschluss am Start. Damit will ich nicht sagen, dass ich gut finde, wie undemokratisch der IWF geführt wird, aber dass bei jeder Einzelentscheidung Parlamente befragt werden, macht aus so einem Fonds ein Instrument zur Krisenbeschleunigung statt zur -milderung.

Hat es Sie überrascht, wie rasch die Schuldenkrise auf große Länder wie Italien und Spanien übergegriffen hat?

Ja, andererseits war das ein einfacher Short (Spekulation gegen die Länder, Anm.). Die Instrumente, die am meisten eingesetzt wurden, attackierten die Eurozone als Ganzes. Auch die Spreads (Risikoaufschläge) von Belgien und Frankreich gingen verdächtig nach oben. Dramatisch wird es, wenn man dazu noch in Europa eine kakophonische Euro-Debatte führt, die viele Finanzakteure weltweit nicht verstehen.

So kann ein kleines Land wie Finnland mit der Forderung nach Sicherheiten die Rettungsarchitektur bedrohen.

. . . und hier in Österreich sagen einige sofort wie im Sandkasten: "Das gelbe Förmchen will ich auch haben." Das ist kindisch und läuft dem Gipfelbeschluss zuwider.

Auch Angela Merkel bekommt immer schwerer Mehrheiten. Bröckelt die Solidarität?

Die Gefahr besteht schon die ganze Zeit. Die Hilfsprogramme waren keine Hilfe, sondern haben nur Zeitgewinn gebracht. Man tut so, als könnte man den Ländern weiter hohe Zinsen aufbürden. Das konnte funktionieren, solange die Weltwirtschaft gut lief, jetzt haben wir aber andere Bedingungen. Ohne Wachstum wird die Eurostabilisierung noch schwieriger. Die Bundestagsmehrheit ist aber durch uns Grüne gesichert. Mit Europa zündelt man nicht.

Was müsste passieren, dass sich die Eurozone aus der Krise befreit?

Das bisherige Agieren war kein Ruhmesblatt. Das Notwendige wurde zu spät gemacht und die Kosten dadurch hochgetrieben. Es wäre viel besser, wenn Deutschland und Frankreich einen starken Vorschlag für eine Wirtschaftsunion und einen europäischen Finanzminister mit Kompetenzen machen - gebracht hat der Gipfel nur eine schwache Lösung mit halbjährlichen Treffen unter Leitung von (Ratspräsident) Herman Van Rompuy.

Wie wäre dieser europäische Finanzminister demokratisch legitimiert?

Das kann nur mit einer Initiative zu einer Revision der EU-Verträge gehen. Mit den Briten wäre das zwecklos, aber für die Eurozone wäre es wert, das zu versuchen.

Die unendliche Geschichte des Lissabon-Vertrages sitzt noch allen im Nacken. Ist eine Vertragsrevision - auch für eine Schuldenaufnahme über Eurobonds - nicht völlig illusorisch?

Es gibt Juristen, die sagen, Eurobonds gehen auch ohne Vertragsänderung, wenn das entsprechend gestaltet wird. Aber Fakt ist doch: Der Euro ist ohne neue Strukturen nicht zu halten - ebenso wenig wie das Tabu "Der Lissabon-Vertrag muss für immer bleiben". Die Finanzkrise verlangt Korrekturen im Vertragswerk. Sonst laufen wir in ein intergouvernmentales Europa - die Regierungen werden die Konsequenzen ziehen, notfalls außerhalb des Vertrags. Das wäre noch undemokratischer.

Der Deutsche Sven Giegold, Jahrgang 1969, ist seit dem Jahr 2009 Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss. Er ist Mitbegründer von Attac Deutschland und einer der 22 Abgeordneten, welche die Finanz-Gegenlobby Finance Watch initiiert haben.