Dass während der Schulzeit ein Großteil der kindlichen Lern-Begeisterung verloren geht und schon die Jüngsten meist an Bewegungsmangel leiden, ist nichts Neues. Dieser Entwicklung wirkt das Projekt "Bewegtes Lernen" entgegen, in dessen Rahmen Volksschulkinder durch regelmäßige Übungen die Verbindung zwischen Lernstoff und körperlichem Einsatz erlernen sollen. Die "Wiener Zeitung" hat die Initiatorin des Projekts, Marina Thuma, über dessen Wirkung und Ziele befragt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In Wien gibt es derzeit 103 Volksschulklassen, die sich an dem Projekt "Bewegtes Lernen" beteiligen. Die Idee dahinter ist eigentlich ganz einfach: Mindestens 50 Prozent des Unterrichts spielen sich an Lernstationen in der Klasse oder auf den Gängen der Schule ab. Dort können die Kinder etwa mit einem Rollbrett zwischen kleinen Kärtchen mit Rechenaufgaben und deren Lösungen hin- und herfahren. Dabei lernen sie spielerisch, kognitive Aufgaben zu bewältigen und gleichzeitig den Körper zu trainieren. "Den erlebten Unterrichtsinhalt vergisst ein Kind nicht mehr so schnell", meint Marina Thuma im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" .
Auf Initiative Thumas entstand das Projekt "Bewegtes Lernen" vor etwa acht Jahren an der Volksschule Bendagasse in Wien-Liesing. Seit dem Jahr 2000 besteht dort auch das "Institut Bewegtes Lernen" (IBL) unter der Leitung Thumas, das für die Koordination des Projekts in Wien verantwortlich ist. Mittlerweile gibt es unter dem Titel "Bewegtes Lernen - Das Wiener Modell" auch einen akademischen Fachlehrgang am Pädagogischen Institut der Stadt. Im Rahmen von vier Modulen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten wie etwa Haltungsturnen und Gesundheitsförderung wurden dort seit 2000 bereits rund 200 Pädagogen weitergebildet.
Ziele des "Bewegten Lernens"
"Unser Ziel ist es vor allem, dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder entgegen zu kommen und aktive Gesundheitsförderung zu betreiben", erklärt Marina Thuma. So hätten viele Kinder schon ab dem Kindergarten mit Haltungsschäden zu kämpfen, außerdem gäbe es auch unter Jüngsten immer häufiger Probleme mit Fettleibigkeit. Ein wichtiger Teil der Erziehung in den Projektklassen ist daher nicht nur die Bewegung, sondern auch die gesunde Ernährung: "Viele Kinder kommen hier zum ersten Mal mit rohem Gemüse in Berührung", so die Pädagogin.
Im Rahmen des "Bewegten Lernens" soll den Kinder außerdem die richtige Sitzhaltung vermittelt werden - so sind die Schwerpunktklassen etwa mit verstellbaren Tische und unterstützenden Sitzkissen ausgerüstet. Außerdem werden die Volksschüler einmal jährlich orthopädisch auf Haltungsfehler untersucht.
Schwierige Finanzierung
Unterstützt wird das IBL etwa von der Allgemeinen Unfallversicherungs-Anstalt (AUVA) und dem pädagogischen Institut der Stadt Wien. Die Ausbildungskosten der Lehrer übernehmen diese großteils selbst, die Stadt kommt ihnen nur insofern entgegen, als sie einen Teil des Kontingents an Arbeitsstunden, die sie zusätzlich zur Lehrtätigkeit absolvieren müssen, in den Projektklassen leisten können.
Auch die Eltern zahlen pro Semester einen Beitrag von 15 Euro, werden dafür aber voll in das Projekt eingebunden. So ist die Einrichtung des Bewegten Lernens in einer Klasse abhängig von der Zustimmung aller Eltern, auch finden Elternabende und Vorträge zur Information der Eltern statt. "Derzeit haben wir mehr Interessenten für Schwerpunktklassen als Möglichkeiten", erläutert Thuma gegenüber der "Wiener Zeitung" .
Für die Zukunft erhofft sich die Projekt-Leiterin daher eine nachhaltigere Unterstützung des "Bewegten Lernens" durch die Stadt Wien. Denn Marina Thuma hat bereits vielversprechende Pläne für die nähere Zukunft. So ist neben der Aufstockung des Gerätepools u. a. Ausweitung des Projekts auf weiterführende Schulen angedacht.
Disziplin und Verantwortung
Auf die Frage, ob es bei einer derart frei anmutenden Form des Lernens nicht Probleme mit der Disziplin der Schüler gäbe, antwortet Thuma mit einem klaren "Nein". Vielmehr würden die Kinder durch Gruppenarbeiten zu einer stärkeren inneren Disziplin motiviert. So gäbe es auch keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit. Lernstationen dürfen nur mit Zustimmung der Eltern auf den Gängen errichtet werden, der ständige Austausch mit der Lehrperson ist dabei laut Thuma gegeben.
Auch der Wechsel in eine weiterführende Schule sei für die Kinder keineswegs problematisch. So hat eine Evaluation der ersten drei Projekt-Jahre ergeben, dass sich Schüler "bewegter Klassen" nicht nur besser konzentrieren können, sondern auch in sozialer Hinsicht, vor allem was das Aggressionspotenzial betrifft, ausgeglichener sind als "normale" Volksschüler.