Der letzte Politiker, der hierorts für Begeisterung unter Intellektuellen sorgte, ist auch schon lange tot. Seitdem trennen Ozeane die beiden Welten.
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Die Sehnsucht nach dem "großen Wurf", nach einer "Politik aus einem Guss" erfreut sich -insbesondere in Wahlkampfzeiten - publizistisch breiter Unterstützung. Das ist nicht wirklich verwunderlich: Wer sich quasi beruflich nicht nur mit dem biederen Ist, sondern auch mit dem, was sein könnte, auseinandersetzt - also Journalisten und Intellektuelle -, entwickelt so etwas wie ein Phantomleiden am politischen Minikosmos, wo Arbeiterkammer und Wirtschaftsverbände wacker um den Preis der Lufthoheit unter Studienautoren um die Wette sponsern. Der große Rest kommt höchstens in schweißtreibenden Albträumen auf die Idee, dass auch das Private politisch sein könnte. Im Wachzustand wird diese Lebensmaxime sämtlicher Weltverbesserer eher als gefährliche Drohung wahrgenommen. Um Politik bewusst als ewige Konstante des eigenen Alltags wahrzunehmen, muss man schon viel Zeit zum Nachdenken haben.
Womöglich erklärt dies den Ozean an Verachtung, den Intellektuelle dem heimischen Politikbetrieb entgegen bringen. Für Erstere ist die Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten eine Frage in sich schlüssiger Konzepte. Nach dem Motto: wo ein Wille, da ein Weg. Dass auch der politische Wille, insbesondere wenn er von aktiven Politikern verfolgt wird, durchaus widersprüchlich sein kann, wird in diesen Kreisen vorwiegend als Verrat an den Idealen gebrandmarkt - und entsprechend wortmächtig abgeurteilt.
Mitleid mit Politikern ist dennoch unangebracht, zahlen diese doch die Verachtung mit dem keineswegs gelinderen Mittel der Nicht-Beachtung von Geistesmenschen trefflich heim.
Als triste Wahrheit bleibt: Der Traum von einer "Politik aus einem Guss" zerfällt, sobald Parteiprogramme auf die Wirklichkeit des Regierungsalltags treffen. Nicht, weil alle Regierenden bösen Willens wären oder einfach nur unfähig. Zwar kann weder das eine noch das andere mit Sicherheit ausgeschlossen werden, doch im Regelfall verweigert sich die soziale Realität simplen Gerechtigkeitsversprechungen, egal, aus welcher Richtung diese stammen.
Mit dieser Einsicht lässt sich natürlich unmöglich wahlkämpfen. Und weil das so ist, bleibt den Parteien nichts anderes übrig, als ihre Positionen aller konkreten Aussagekraft zu entkleiden - zumindest, wenn sie dem Restrisiko einer möglichen Regierungsbeteiligung nach dem 29. September ausgesetzt sind. Übrig bleiben müde Slogans von Arbeit, Familien, Fairness, Heimat, Pensionen oder Bildung. Dass da enttäuscht ist, wer der Politik die Gestaltungsmacht über sein Leben zuweist, versteht sich fast schon von selbst.
Allerdings hat noch keine Partei mithilfe der "Großkopferten" Wahlen gewonnen, bei denen eben jede Stimme gleichviel zählt. In der Politik - und noch viel mehr im Wahlkampf - ist es nämlich wie beim Klettern, wo auch der Schnellste und Stärkste das Tempo bestimmen kann. Deshalb sind ja auch politische Avantgardisten so oft vom kapitalen Absturz gefährdet. Ganz ohne Vorausdenker entzieht sich nur das politische Geschäft seiner Substanz. Schön zu wissen, dass es Politiker auch nicht leicht haben.