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Mit hohem Tempo westwärts

Von Thomas Veser

Politik

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Allmählich verblassen die Zeichen an der Wand. Wind und Wetter haben der Losung am Verwaltungsgebäude der einstigen Fabrik Nummer 2 in den vergangenen fünf Jahrzehnten arg zugesetzt. "Es lebe Friede und Freundschaft zwischen den Völkern" lautete das Motto des ehemaligen Staatsunternehmens Techma-Robot in der ostpolnischen Kleinstadt Biala Podlaska, 50 Kilometer von der Grenze zu Weissrussland entfernt.

Als die Regierung der Republik Polen 1990 den Auftakt zur Privatisierung gab, befand sich das Staatsunternehmen mit seinen zwei Fertigungsstätten in der Hauptstadt und in Biala Podlaska in einer tristen Lage. Techma-Robot fertigte damals vor allem Radaranlagen für die Sowjetunion und stand mit Altschulden in Höhe von 21 Millionen Zloty beim Finanzministerium in der Kreide.

Noch in den späten Achtziger Jahren hatte Warschau gegen harte Devisen technisches Zubehör und Geräte aus dem Westen erstanden. Ein Teil davon steht bis heute, in Transportcontainern verpackt, auf dem Gelände des Betriebs.

Hinter den Backsteinmauern weht freilich ein anderer Wind. Dort leitet Ingenieur Jerzy Wegiera mit fünf Kompagnons die Produktion von Werkzeugmaschinen, Stahlkonstruktionen und Ersatzteilen für Maschinen. Als langjähriger Mitarbeiter der alten Techma-Robot hatte Wegiera die Produktion schon vor fünf Jahren aufgenommen. Dazu nötige Räume und Hallen haben die Unternehmer zunächst angemietet. Als das Staatsunternehmen 1999 schließlich abgewickelt wurde, erwarben sie den von ihnen benützten Teil im Management-Buy-Out-Verfahren (MBO). Jeder von ihnen steuerte etwas Eigenkapital bei und so gründeten sie eine GmbH mit dem Namen des ehemaligen Staatsbetriebs.

Deutsche Berater

Dieses Privatisierungsverfahren hatte ihnen das Warschauer Transform-Büro ans Herz gelegt. Dessen Berater und die 1993 von der "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" (GTZ) gegründete Treuhand Osteuropa, ein Tochterunternehmen der ostdeutschen Treuhand, "haben uns gerade in der schwierigen Anfangsphase geholfen, die administrativen Vorgänge voranzubringen", erinnert sich Wegiera. Über das Transform-Programm, das für sämtliche Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas geschaffen wurde, will Deutschland das Tempo des polnischen Wandels beschleunigen und die Aufnahme des Landes in die EU vorbereiten.

Allerdings sind bis heute gewisse Eigentumsverhältnisse in ihrem Betrieb noch nicht zweifelsfrei geklärt, da während der kommunistischen Zeit keine Kataster geführt wurden. Und so bleiben ihnen die Hände gebunden, bis der gerichtlich eingesetzte Konkursverwalter grünes Licht erteilt.

Der Aufbruch seines Unternehmens in Richtung Marktwirtschaft hatte damals für Schlagzeilen gesorgt. Denn die von den Transform-Beratern vorgeschlagene Entschuldung eines Staatsbetriebes wird in Polen nur selten genehmigt. Und so musste die Regierung eine besondere Verordnung erlassen. Daraufhin konnte das Finanzministerium als Hauptgläubiger die Schulden streichen.

Wegiera und seine Kollegen haben das Unternehmen finanziell und personell umstrukturiert, um Personalbestand und wirtschaftliches Überleben zu sichern. Radaranlagen für militärische Zwecke waren nicht mehr gefragt und so veränderten die neuen Anteilseigner das Produktionsprofil. Güter aus den Werkhallen des ehemalige Rüstungszulieferers werden heute zu 50 Prozent nach Deutschland, Kanada und China exportiert. Nach einigen missglückten Versuchen, mit weißrussischen und russischen Partnern dauerhafte Geschäftsbeziehungen zu entwickeln, setzt das Unternehmen seine Hoffnungen um so entschiedener auf den Westen.

Entscheidende Impulse

Je nach Region und Wirtschaftsbranche hat der polnische Privatisierungsprozess mit seiner Vielfalt an methodischen Ansätzen seit 1990 zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Im Rückblick lässt sich sagen, dass die Umwandlung von Staatsbetrieben in Privatfirmen bis 1997 eher verhalten vonstatten ging. Von 8500 Staatsbetrieben befanden sich bis Mitte 1997 nur 4052 (56 Prozent) in der Privatisierungsphase. Bei nicht einmal 25 Prozent der ehemaligen Staatsunternehmen war der Vorgang damals definitiv abgeschlossen.

Dann erhielt die Eigentumsumwandlung entscheidende Impulse: Mitte 1997 hatte die Regierung mehrere grössere Privatisierungsprojekte beschlossen. Ausserdem unternahmen die 15 Nationalen Investmentfonds (NFI), die im Zuge der Massenprivatisierung 512 Staatsbetriebe mit Restrukturierungs- und Modernisierungsbedarf übernommen hatten, den Börsengang.

Noch im gleichen Jahr kündigte die neue Regierung an, dass der Privatisierungsprozesse kräftig beschleunigt werde. Als Grundlage dient das am 8. April 1997 in Kraft getretene Gesetz über "Kommerzialisierung und Privatisierung staatlicher Unternehmen".

Ferner veröffentlichte das Ministerium für den Staatsschatz sein "Privatisierungsprogramm bis zum Jahr 2001", das einen über alle Wirtschaftsbranchen breit gestreuten Entstaatlichungsprozess vorsieht. Der staatlichen Statistik zufolge waren Ende 1999 schon 6407 Unternehmen und damit 73 Prozent aller Staatsbetriebe entweder privatisiert oder befanden sich in der Eigentumsumwandlung.

Als Stolperstein erweist sich inzwischen auch, dass die polnische Gesetzgebung den tatsächlichen Entwicklungen chronisch hinterherhinkt: "Gesetze, etwa zur Besteuerung oder zum Erbrecht, kommen häufig erst später", berichtet der deutsche Unternehmensberater Holm Eggerts. Er ist für das Transform-Projekt "Privatisierung und Modelle der Personalanpassung in Polen" verantwortlich. Seine Zwischenbilanz fällt dennoch positiv aus: "Bisher ist die Privatisierung in Polen relativ gut gelaufen", bekräftigt Eggers.

Vor vier Jahren habe die Regierung eine "Agentur für Industrieentwicklung" gegründet und ihr alle Vorhaben übertragen, die sich für das offiziell zuständige Schatzministerium als zu kompliziert erwiesen hätten. Es handelt sich vornehmlich um Rüstungsbetriebe, den Traktorenhersteller Ursus, Betriebe der Luftfahrtbranche und die Staatsbahn PKP, die in Einzelbereichen privatisiert werden soll.

Damit Staatsunternehmen, vor allem in den Branchen Hüttenwesen und Bergbau, erfolgreich privatisiert werden können, müssen sie zuvor gründlich restrukturiert werden.

In Polen werden diese Vorleistungen erbracht, auch wenn dafür ein hoher Preis gezahlt werden muss: Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit offiziell auf 18 Prozent angeklettert. Das zunehmende Tempo des Reformprozesses blieb davon unbeeinflusst.