Zum Hauptinhalt springen

Mit Holzmantel und fein gespitzter Mine

Von Christopher Erben

Reflexionen
Aus Farbpigmenten, Gesteinsmehl und Wachs werden die bunten Minen hergestellt.
© Brevillier Urban & Sachs

Digitale Geräte ersetzen zunehmend das Handgeschriebene, doch auch Bleistifte erfreuen sich wachsender Beliebtheit.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Blei- und Buntstifte, so weit das Auge reicht - und das in verschiedenen Farben und Schattierungen. Über 180.000 davon verlassen allein die Bleistift-Fabrik im Grazer Stadtteil Gösting täglich. "Die Herstellung von Stiften ist aber sehr aufwendig", erklärt Clemens Ellmauthaler, Marketing- und Verkaufsleiter des Schreibgeräteherstellers Brevillier Urban & Sachs, während er die Halle entlangschreitet und die kleinen Rollen mustert, aus denen die beliebten Handgeräte entstehen.

Mit Blei hat das mit Abstand beliebteste Schreibgerät heute aber nichts mehr zu tun: Bereits vor über 200 Jahren wurde dieses Material durch Grafit ersetzt. Blei- und Buntstifte entstehen in mehreren Arbeitsschritten: Zuerst wird eine Masse bestehend aus Ton, Grafit und Fett in einer Mischtrommel gemischt und so lange gerührt, bis sich das Material erhärtet. Welche Rezepturen dafür wie vermengt und welche Farbmischungen kredenzt werden, behält jeder Bleistiftmacher freilich gerne für sich. In einer Presse wird dann die Masse zu einem Zylinder geformt, in Längen geschnitten und danach bei Temperaturen von bis zu 900 Grad Celsius gebrannt.

Über 180.000 Stifte verlassen jeden Tag das Jolly-Werk in Graz.
© Brevillier Urban & Sachs

Sowohl Brenndauer als auch Brennhitze bestimmen den Härtegrad der Mine, die das Herzstück eines Stiftes ist. Je höher deren Grafitanteil, desto weicher und umso feiner lässt es sich damit zeichnen und das Gekritzelte danach auch wieder wegradieren. Über 50.000 Meter kann man im Schnitt mit einer gespitzten Mine schreiben - abhängig jeweils vom Härtegrad. Ein Kugelschreiber kommt auf maximal 10.000 Meter.

Grün, rot und blau

Doch was wäre der Schreibstift ohne den bekannten Schutzmantel aus Holz, der ihn umgibt? Dieser besteht entweder aus Ahorn-, Pinien- oder Lindenholz, das meist sechseckig zugeschnitten wird, damit der Stift nicht weit weg- oder abrollen kann. Bevor die fertigen Minen in das Holz geklebt werden, muss darin eine Rille gefräst werden. Je nach Funktion haben die Minen einen Durchmesser zwischen 0,3 und zwei Millimeter. Abschließend werden die Stifte herausgeschnitten und mit einer Folie beschriftet.

Grün, rot und blau sind nach wie vor die beliebtesten Buntstiftfarben, weiß Clemens Ellmauthaler, der seit über 15 Jahren beim größten österreichischen Hersteller arbeitet. "Kinderfeste Blei- und Buntstifte sind noch dazu sehr widerstandsfähig und langlebig." Hinzu kommen noch wasserfeste, dicke und dünne Geräte, mit denen verschiedene Hersteller heute auf unterschiedliche Kundenwünsche reagieren.

Joseph Hardtmuth gilt als Erfinder des Bleistifts, so wie wir ihn heute kennen.
© Koh-i-Noor Hardtmuth

Wer heute durch den gut sortierten Papierfachhandel geht, dem begegnet eine große Auswahl von Blei- und Buntstiften verschiedener Hersteller. Jene aus Europa haben oft eine bewegte Vergangenheit hinter sich und waren auch an der Entwicklung des Bleistifts maßgeblich beteiligt - wie etwa der tschechische Bleistiftproduzent Koh-i-Noor Hardtmuth. Bis ins Jahr 1790 reichen dessen Wurzeln zurück. Damals revolutionierte Joseph Hardtmuth (1758-1816), ein Wiener Architekt und Mäzen, die Bleistiftherstellung. Ihm gelang es erstmals, aus Tonerde, Grafitstaub und Wasser keramische Bleistiftminen herzustellen. Auch erfand er eine Maschine, mit der er die so entstandene Masse pressen konnte. Die von Joseph Hardtmuth nach der "Wiener Methode" hergestellten Stifte kosteten nur einen Bruchteil jener aus England, die bald vom Markt verschwanden. Da die Fabrik in Wien rasch zu klein wurde, verlegte Josephs Sohn Carl die Fabrik ins böhmische Budweis. Denn hier war nicht nur die Versorgung mit Rohstoffen wie Holz, Kohle und Grafit zur Herstellung der Stifte besser, auch die Transportwege auf der Bahn nach Linz und der Moldau nach Prag waren es.

Schließlich ging der Hersteller aus Böhmen mit dem Wiener Schreibgerätehändler Theyer eine Kooperation ein und eröffnete ein Geschäft in der Kärntner Straße, um seine Stifte zu vertreiben. Er benannte sie nach dem Koh-i-Noor-Diamanten und schuf damit eine benannte Wortmarke. Sichtbares Markenzeichen wurde ein Elefant, der bis heute etwa auf den Radiergummis abgebildet wird. Leuchtend gelb wurden die Stifte poliert, um sich von den anderen zu unterscheiden. Die Fachwelt war von den Stiften aus Budweis begeistert. Im Jahr 1889 wurden sie bei der Pariser Weltausstellung ausgezeichnet. Abhängig vom Tonanteil und der Brenndauer der Minen wurden 17 Härtegrade definiert: F soll einst für Franz (den Enkel von Joseph Hardtmuth), B für Budweis und H für Hardtmuth gestanden sein.

Traditionsreicher Standort: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden in Budweis (České Budějovice) Bleistifte hergestellt.
© Koh-i-Noor Hardtmuth

Der Höhenflug der Stifte aus der südböhmischen Braustadt fand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein jähes Ende. Die Hardtmuths mussten ihre Heimat fluchtartig verlassen und ihr Werk zurücklassen, das bald darauf von den Kommunisten verstaatlicht wurde. Im oberösterreichischen Attnang-Puchheim produzierten sie weiter und blieben trotz des "Eisernen Vorhangs" über eine seit dem Jahr 1967 bestehende Koh-i-Noor Hardtmuth Aktiengesellschaft mit dem Unternehmen in Budweis verbunden. An dieser war der tschechoslowakische Staat zu 73 Prozent beteiligt; den Rest hielt die Familie Hardtmuth; Unternehmenssitz war Wien.

Digitales Herantasten

1992 wurde die tschechische Koh-i-Noor-Gruppe privatisiert und firmiert seither als eigenständiges Unternehmen. Über eine halbe Million Stifte und Zeichenmaterialien verlassen täglich die Werkshallen von Koh-i-Noor Hardtmuth in Budweis. Erhältlich sind diese in Tschechien in den über 100 eigenen Geschäften und bei Handelspartnern, heißt es vom Unternehmen auf Anfrage. Über 80 Prozent der Produktion wird exportiert, heißt es vom Hersteller aus Budweis.

Nach der "Samtenen Revolution" in der Tschechoslowakei geriet Koh-i-Noor Hardtmuth jedoch in wirtschaftliche Turbulenzen, die auch das österreichische Tochterunternehmen in Hirm erschütterten. Die Konkursmasse wurde von Hans Wolfgang Hromatka, einem leidenschaftlichen Bleistiftsammler und Industriellen, übernommen. Er benannte die Stifte in Cretacolor um, da dieser Name bereits früher von Koh-i-Noor verwendet, aber markenrechtlich nie geschützt worden war. Diese Stifte werden heute von Künstlern sehr geschätzt. Außerdem erweiterte er das Sortiment, indem er den Büroartikerhersteller SAX und die Österreichische Kuvertindustrie (ÖKI) übernahm und sich so die Vormachtstellung im Bürobedarf sicherte. Auch kaufte Hans Wolfgang Hromatka das Unternehmen Brevillier Urban, den vielleicht bekanntesten Bleistifthersteller Österreichs, mit dessen Marke Jolly. Allein dafür arbeiten heute über 100 Mitarbeiter in Graz und Hirm.

Schnellzeichner Bernd Weidenauer bei der Arbeit.
© Bernd Weidenauer

Auch Bernd Weidenauer sind die Stifte aus Budweis und Graz ein Begriff. Er arbeitet als Schnellzeichner und gestaltet jedes Jahr über hunderte Karikaturenporträts. Für jedes einzelne braucht er im Schnitt zwei bis fünf Minuten. Doch zum Zeichnen verwendet er keine konventionellen Stifte mehr, sondern ein digitales Board, auf dem er nach Belieben Pinsel, Stift und Farben auswählen und einsetzen kann. Für den Künstler vereinen die digitalen Stifte wesentlich mehr Möglichkeiten als die konventionellen.

Auch bei seinen Auftritten zeigen sich deren Vorteile. So kann er dabei das Publikum über einen Beamer teilhaben lassen, wie er sich an die Details herantastet, erzählt er der "Wiener Zeitung" und schmunzelt: "Und sie können mir dabei immer über die Schulter schauen." Doch so ganz will der Absolvent der Akademie der Bildenden Künste auf den Urahn seiner Digital-Stifte nicht verzichten. Wenn er zum Beispiel etwas skizziert oder vorzeichnet, verwende er nach wie vor einen Bleistift, verkündet der 51-Jährige im Gespräch.

Anders als der Schnellzeichner verlassen sich Hobbyzeichner lieber auf Stifte aus Holz und Grafit, erzählt Vessela Benderlieva-Karlhofer, die an der Kunst VHS in Wien unterrichtet. Oft beginnen sie mit dem beliebten Bürobleistift mit dem Härtegrad HB, der weder hart noch weich ist. Damit kann skizziert - und es können dünne, sanfte Linien gezogen werden. Mit einem weicheren, wie etwa mit einem B6 oder mit Sepia-Stiften, werden die weiteren Details ausgekleidet, "um zu tüfteln", wie sie sagt. "Aber wir verwenden sie auch, um Gefühle auszudrücken." Für die gebürtige Bulgarin komme auf dem Papier die Kreativität und die Persönlichkeit jedes Einzelnen zum Ausdruck.

Schätze auf Papier

Der Bleistift sei dafür am idealsten und ein Ausgangspunkt für Techniken wie zum Beispiel die Acrylmalerei, sagt Benderlieva-Karlhofer. Für die akademische Malerin sei das Zeichnen auch ein Schatz, den es zu bewahren gelte - auch für künftige Generationen. Besonders während der Corona-Pandemie sei das Interesse daran enorm gestiegen, stellt die Lehrende begeistert fest, die sich ein Leben ohne Stift und Papier überhaupt nicht vorstellen kann.

Ein Set aus Koh-i-Noor-Stiften aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.
© Koh-i-Noor

Ungebrochen groß sei das Interesse vieler, die die eigene Umgebung mit Stift und Aquarellfarben auf Papier verewigen wollen, stellt auch Boesner, ein Groß- und Einzelhändler für Künstlermaterialien, fest. Der deutsche Händler, in dessen Sortiment sich bekannte Marken wie Faber-Castell, Caran d’Ache, Koh-i-Noor, Cretacolor, Stabilo oder Staedtler finden, geht nicht davon aus, dass digitale Zeichenmethoden das "echte physische Zeichnen" ersetzen werden. Passionierte- und Profizeichner, Designer und Illustratoren würden auf einen Stift nie verzichten, sondern eher nach Lösungen suchen, wie sie Handgezeichnetes vom Papier auf eine digitale Ebene übertragen können, so Boesner-Geschäftsführer Sascha Kuntel zur "Wiener Zeitung".

Clemens Ellmauthaler verlässt die Halle des Jolly-Werks in Graz wieder. Er könne der Digitalisierung durchaus viel abgewinnen, da sie auch den traditionellen Stiften neue Chancen eröffne, ist der zweifache Familienvater überzeugt. Wesentlichen Anteil an deren Renaissance habe das Internet-Portal TikTok, dem vor allem viele junge Menschen folgen. Video-Clips bringen sie hier dazu, wieder einen Stift haptisch in die Hand zu nehmen und damit auf einem Blatt zu zeichnen. "Wir sind alle wie Kinder und wachsen mit bunten Ideen", sagt Clemens Ellmauthaler abschließend: "Nicht nur auf dem Papier, sondern auch in digitalen Sphären."

Christopher Erben lebt als Sprachtrainer, Erwachsenenbildner und freier Journalist in Wien.