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Mit Hut und Schirm zum Totentanz

Von Michael Schmölzer

Politik

Revolutionsführer droht allen seinen Gegenern mit der Hinrichtung. | Ägyptischer Militärrat erwägt Eingreifen. | UNO spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. | Tripolis. Eine dicken Fellmütze auf dem Kopf, die Ohrenschützer heruntergeklappt und einen Regenschirm in der Hand: Revolutionsführer Muammar Gaddafi wandte sich in der Nacht auf Dienstag im Staats-TV an sein Volk.


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Der kurze Spot sollte demonstrieren, dass er noch nicht geflohen ist, dass er weiter kämpfen will: "Es hat zu regnen begonnen, wie ihr seht. Was soll's, das zeigt den Menschen wenigstens, dass ich noch immer in Tripolis bin und nicht in Venezuela. Also glaubt nicht den Meldungen dieser Hunde. Friede sei mit Euch!"

Der TV-Auftritt Gaddafis lässt Zweifel aufkommen, ob der stets als etwas eigenartig belächelte Oberst noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist: Er präsentierte sich in der Tür eines alten Kleintransporters, wirkte geistesabwesend, Gaddafi murmelt: Er habe eigentliche zu den vielen jungen Leuten auf den Grünen Platz in Tripolis fahren wollen, um dort zu ihnen zu sprechen. Das schlechte Wetter habe ihm aber einen Strich durch die Rechnung gemacht, daher wende er sich so an sein Volk.

Zur gleichen Zeit zogen Söldner-Trupps durch Tripolis und schossen auf alles, was sich bewegte. Augenzeugen berichteten dem arabischen TV-Kanal Al Jazeera, dass Kampfflieger wahllos Ziele bombardierten. Die Angriffe richteten sich offenbar gegen Munitionsdepots und strategisch wichtige Punkte, der strauchelnde Revolutionsführer will verhindern, dass sich die Aufständischen Waffen aneignen.

Auf den Straßen liegen laut Augenzeugen Leichen von früheren Zusammenstößen, sie können nicht fortgeschafft werden. Das Regime schafft per Hubschrauber immer mehr Söldner heran, die dann mit großer Brutalität gegen die Demonstranten vorgehen.

Gaddafi wandte sich am Dienstagabend in einer weiteren TV-Ansprache an die Libyer, diesmal wie gewohnt in Stammestracht. Er werde Libyen nicht verlassen, so Gaddafi, er wolle "als Märtyrer" sterben.

"Gegner sind krank"

Eine kleine Gruppe von jungen Leuten, denen man Tabletten gegeben habe, attackierten die Polizeiwachen, "wie die Ratten". Diese Leute seien krank, so Gaddafi. Er brüllte streckenweise vor Wut. Er sei kein einfacher Präsident, der zurücktreten könne. Allen seinen Gegnern drohte er mit Hinrichtung. Exekutiert würden die, die einen Bürgerkrieg anzettelten, die Einheit des Landes in Frage stellten oder sich an Plünderungen beteiligten.

In Tripolis wurden am Dienstag Demonstranten von Hubschraubern aus unter Feuer genommen, Panzer waren im Einsatz. Da immer noch keine Journalisten in Tripolis sind, Internet und Handynetze nicht funktionieren, dringt nur wenig exakte Information nach außen. Es weist viel darauf hin, dass Gaddafi knapp vor Ende seiner Herrschaft ein Massaker anrichtet. Die italienische Tageszeitung "La Repubblica" berichtet, dass bereits mehr als 1000 Menschen bei dem Aufstand getötet wurden.

Handelt Kairo?

Hunderte Flüchtlinge versuchen unterdessen verzweifelt, auf Traktoren und Lkw die Grenze zu Ägypten zu erreichen. Gaddafi-loyale Gruppen schießen dabei auf jeden, dem sie begegnen. Am Montag waren zehn Ägypter, die in ihre Heimat flüchten wollten, von libyschen Banden erschossen worden. Bei Luftangriffen auf Demonstranten sind über 30 Ägypter ums Leben gekommen. Insgesamt leben zwei Millionen Ägypter in Libyen. Der in Kairo regierende Militärrat hat nun damit gedroht, in Libyen einzugreifen. Kairo hat bereits seine Truppen entlang der Grenze verstärkt, schon vor einigen Tagen wurde Hilfe für Verletzte angeboten.

Die UN-Menschenrechts-Hochkommissarin Navanethem Pillay, hat eine internationale Untersuchung des brutalen Vorgehens des Regimes in Tripolis gefordert. Bei den Übergriffen auf Demonstranten handle es sich möglicherweise um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so die Juristin. In New York ist der UNO-Sicherheitsrat zu einer Krisensitzung zusammentreten.

Eine Wiedereinführung der internationalen Sanktionen gegen Libyen ist nicht auszuschließen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Dienstagabend die Fernsehansprache Gaddafis als "sehr erschreckend" bezeichnet. Er habe "seinem eigenen Volk den Krieg erklärt", so Merkel, die sich dafür einsetzen will, auch über Sanktionen gegenüber Libyen zu sprechen. In den USA hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, John Kerry, Präsident Barack Obama aufgefordert, Sanktionen gegen Libyen zu erwägen. US-Außenministerin Hillary Clinton plädierte für "angemessene Schritte" seitens der Weltgemeinschaft, ließ die Frage nach Sanktionen jedoch offen.

Einen ersten Schritt hat die Arabische Liga bei einem Dringlichkeitstreffen in Kairo gesetzt: Die Liga schließt Libyen bis auf weiteres von Treffen der Organisation aus, im März soll entschieden werden, ob das Land weiter Mitglied bleiben kann.