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Mit Hyper-Keynesianismus aus der Krise?

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Der Große Lockdown wird in einer neuen Großen Depression enden, wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht gegengesteuert, so die Warnung des Internationalen Währungsfonds. Ist ein New Green Deal nach dem Vorbild von Roosevelts New Deal die Lösung?


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Die Sars-CoV-2-Pandemie könnte die Welt in das tiefste Jammertal seit der Weltwirtschaftskrise 1929 reißen, so der Internationale Währungsfonds (IWF). Doch welche Lehren hält der damalige Wirtschaftsabsturz für die Gegenwart bereit?

Am Höhepunkt der Great Depression lud US-Präsident Franklin D. Roosevelt den britischen Ökonomen John Maynard Keynes ins Weiße Haus nach Washington ein. Gleich nach der Angelobung war Roosevelt den Empfehlungen von Keynes gefolgt: Noch nie hatte eine US-Regierung in Friedenszeiten so viel Geld ausgegeben wie in Roosevelts New-Deal-Wirtschaftsankurbelungsprogramm. Doch Keynes war nach seinem Treffen mit Roosevelt am 28. Mai 1934 unzufrieden: Roosevelts New Deal sei viel zu wenig, der Präsident müsse noch mehr Geld in die Hand nehmen, drängte Keynes. Roosevelt hielt sich nicht daran. So konnte sein New Deal zwar die schlimmsten Folgen für die US-Bevölkerung abmildern, ein wirkliches Comeback erlebte die US-Wirtschaft aber erst, als der Staat mit dem Eintritt in den Krieg massive Summen in die Wirtschaft pumpte.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich: Im Great Lockdown stellt die Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg fest: "8 Billionen fiskale Anreize sind nicht genug." Tatsächlich werden die Regierungen weltweit um die 10 Billionen Dollar in ihre kollabierenden Volkswirtschaften pumpen.

Der Investor, Hedge Fonds Manager und Autor Zachary Karabell bezeichnete das, was derzeit in der Weltwirtschaft vor sich geht, in einem Essay im US-Außenpolitikfachmagazin "Foreign Affairs" als ein "Hyper-Keynesianismus-Experiment". Zehn Billionen: Diese Summe entspricht einem Viertel des jährlichen ökonomischen Outputs von EU und USA.

Die Regierungen folgen der Empfehlung der Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, Kristalina Georgiewa. Ihr Ratschlag: "Geben Sie so viel aus, wie Sie können. Das Jahr 2020 wird katastrophal." Die europäische Politik lässt sich das nicht zweimal sagen: Bei der Verkündigung des gigantischen deutschen 1,2-Billionen-Rettungspakets sagte Finanzminister Olaf Scholz: "Das ist die Bazooka, nach Kleinwaffen schauen wir später."

Damit ist klar: Der Staat nimmt für absehbare Zeit eine zentrale Rolle im Wirtschaftsgeschehen ein.

In Europa würde dies eine Rückkehr in die Nachkriegsära bedeuten. Denn nach dem Krieg baute Westeuropa Wohlfahrtsstaaten auf, die im Kalten Krieg ein Bollwerk gegen den Kommunismus darstellen sollten: Moderne staatliche Bildungsinstitutionen, Arbeits- und Sozialversicherung, leistungsfähige Gesundheitssysteme und sichere Pensionen waren die Waffen des Westens im Wettstreit der Ideologien im Kalten Krieg.

Doch in den 1980er Jahren kam die Wende: US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher gingen mit der Abrissbirne vor. Weniger Staat, mehr privat, hieß nun die Devise.

Eine Serie von schweren Wirtschaftskrisen in den 90er und Nullerjahren ließ aber das Vertrauen in die unsichtbare Hand des Marktes erodieren und die Kritik an den Marktfundamentalisten wurde unüberhörbar - spätestens, als 2008 nach dem Crash des US-Immobilienmarkts auch die Banken in Europa in eine schwere Schieflage gerieten und mit Steuergeldern gerettet werden mussten.

Der ökonomische Schock ist viel verheerender als 2008

Der ökonomische Schock des Great Lockdown ist viel verheerender als die große Rezession: Die Krise von 2008 war eine Implosion des Finanzsystems, bei der Corona-Krise ist die Realwirtschaft schwer getroffen. Gleichzeitig gibt es sowohl einen Angebots- als auch einen Nachfrageschock, wie der Ökonom Branko Milanovic in einem Essay in "Foreign Affairs" ausführt: Wegen Betriebsschließungen sinkt das Angebot und die Nachfrage kollabiert, weil die Konsumenten im Lockdown nur das Notwendigste kaufen. Wer denkt an den Kauf eines Autos oder einer neuen Küche - solange Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit drohen und niemand weiß, wie die Welt morgen aussehen wird?

Die ökonomische Logik im völlig anomalen "neuen Normal": Wenn es kaum mehr ökonomische Aktivität gibt, existiert auch kein freier Markt mehr. Und wenn private Nachfrage wegbricht, muss der Staat einspringen. Doch das hat weitreichende Konsequenzen: Politiker, deren Mantra stets darin bestand, vor neuen Schulden zu warnen, weil Schulden die Wirtschaft von morgen gefährden, müssen nun Fantastilliarden ausgeben, um die Wirtschaft von heute zu retten. Für den Staat ist es eben vernünftiger, mit dem Einsatz gigantischer Summen möglichst viele Unternehmen vor der Pleite zu bewahren, als ein Heer von Arbeitslosen zu alimentieren. Denn irgendwann - so die Hoffnung - muss es ja wieder bergauf gehen.

Aber wenn Länder wie Deutschland, Finnland, die Niederlande und Österreich Multi-Milliardenpakete schnüren, fällt auch die Schulden-Schelte für die Club-Med-Staaten auf taube Ohren. Covid-19 beendet nun das Austeritätsdogma der Frugal Four - Dänemark, Niederlande, Österreich, Schweden - sowie Deutschlands und Finnlands. Eine Pro-Kopf-Verschuldung wie in Japan (236 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) ist nach Covid-19 auch für einige hoch verschuldete europäische Länder denkbar: Das Beispiel Japan zeigt, dass eine entwickelte Volkswirtschaft mit hohen Schulden durchaus komfortabel leben kann - zumindest, solange die Zinsen niedrig sind.

Konservative entdecken die Renaissance des Staates

Selbst Konservative können derzeit dem Comeback des Staates in der Wirtschaft etwas abgewinnen: Der deutsche CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hält ohnehin eine "nationale Industriestrategie" für notwendig: Siemens, Thyssen-Krupp, Deutsche Bank seien in jedem Fall zu erhalten, zudem solle sich der Staat in wichtigen Fällen an Unternehmen beteiligen. Und auch die österreichische Bundesregierung wird nicht umhinkönnen, strategisch wichtige Unternehmen wie die Austrian Airlines zu retten. Jetzt tritt auch zutage, was der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz in seinem derzeit heftig diskutierten Buch "Das Ende der Illusionen" beschreibt: Das fast 40 Jahre vorherrschende "Dynamisierungsparadigma", dem sowohl linksliberale als auch rechte Wirtschaftsliberale anhängen, werde nun wieder mehr von einem "Regulierungsparadigma" verdrängt, dem sowohl die etatistische Sozialdemokratie als auch die Konservativen etwas abgewinnen können.

Neue Zeiten, neue Bruchlinien. Etwa jene zwischen Keynesianern und Nachhaltigkeitsökonomen. Denn die Öko-Kritik am Keynesianismus lautet, dass Keynes - ganz der orthodoxen Ökonomie folgend - das Allheilmittel im Konsum sah. "Keynes merkwürdiges Rezept zur Heilung der Malaise, die ein ungehinderter Konsum-Kapitalismus verursacht hatte, war, dass die Regierung alles unternehmen soll, um den Konsum anzukurbeln", schreibt der Historiker Robert S. McElvaine in seinem Standardwerk "The Great Depression". Die Ökonomieprofessorin am University College London, Mariana Mazzucato, ist bemüht, den Graben zuzuschütten. Sie schlägt in einem Essay im "Guardian" vor, Staatshilfen an Bedingungen zu knüpfen. Der Staat soll nicht einfach ganze Wirtschaftssektoren retten, sondern diese gleich so umgestalten, dass sie Teil eines neuen, nachhaltigen Wirtschaftssystems sein können.

Und auch der australische Ökonom Joshua Gans, der an der Universität Toronto lehrt, glaubt, dass der jetzigen Krise die Chance auf mehr Nachhaltigkeit innewohnt, wie er in seinem vor wenigen Tagen erschienenen Buch "Economics in the Age of Covid-19" schreibt. Darin verfolgt Gans zwei Ansätze: Covid-19 würde die Staatengemeinschaft zu verstärkter internationaler Zusammenarbeit zwingen.

Jene Länder, die 2003 mit Sars oder im Jahr 2009 mit dem H1N1-Grippevirus konfrontiert waren, seien auf die Herausforderung durch Sars-CoV-2 viel besser vorbereitet gewesen als andere Nationen. Dennoch sind sie nun mit den Folgen der Pandemie konfrontiert. Die Lehre: Es braucht eine globale Antwort auf Covid-19. So wie Vereinte Nationen, Weltbank und Währungsfonds nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, bräuchte es nach Covid-19 eine gut ausgestattete globale Institution zur Pandemieabwehr.

Kommt nun derGreen New Deal?

Und Gans sieht zweitens auch eine Verbindung zur Klimapolitik: Die Post-Covid-19-Ära sei jene Zeit, in der die Menschheit den Klimaschutz endlich ernst nehmen würde. In seinem Buch verwendet er folgendes Gleichnis: "Wenn bei einem großen Haus eine Haushälfte in Gefahr ist, von einem Feuer zerstört zu werden, dann ist man bereit, mehr Geld für den Schutz der anderen Hälfte auszugeben."

Auf diesen Sinneswandel hofft auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Gespräch mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit": "Diese Krise ist auch eine gewaltige Chance. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Milliarden in Unternehmen und Infrastruktur zu investieren. Warum dann nicht gleich in klimafreundliche Projekte, die der nächsten Generation helfen?"