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Mit Immunität und Interferon

Von Kurt de Swaaf

Wissen

Früherer Kontakt mit Grippeviren bereitet Immunsystem auf Infektion vor. | Antiviraler Schutz zeigt sich erfolgreich. | Freiburg/Breisgau. Seit April dieses Jahres plagt die Menschheit ein neues Schreckgespenst: H1N1, das Schweinegrippe-Virus. Droht der Welt womöglich eine ähnlich grausame Pandemie wie in den Jahren 1918/19? Damals löste eine frühere H1N1-Form die "Spanische Grippe" aus, die geschätzte 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Experten stufen das Risiko einer solchen Katastrophe zwar als sehr gering ein, doch niemand ist sicher. "Wir können nichts vorhersagen", erklärt WHO-Sprecher Gregory Härtl. H1N1 ist eben ein äußerst unberechenbarer Gegner.


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Eine seltsame Eigenheit des neuen Erregers ist es, vor allem bei jüngeren Menschen schwere Krankheitsverläufe auszulösen. Ältere verfügen nach den bisherigen Studien über einen gewissen Schutz - wahrscheinlich dank früherer Vireninfektionen. "Einen guten neutralisierenden Antikörper-Titer haben Leute, die vor 1918 zur Welt kamen", berichtet der Schweizer Virologe Peter Staeheli von der Universität Freiburg/Breisgau. Ihr Immunsystem kann sich wohl noch an die damals grassierenden Viren erinnern. Ein höheres Erkrankungsrisiko haben nach klinischen Daten Personen, die jünger als 50 sind. Das könnte wiederum mit einer H2N2-Pandemie von 1957 zusammenhängen. "Es gibt aber keine scharfe Altersgrenze", betont Staeheli.

Wie sehr indessen auch neuere Influenza-Infektionen die Immunreaktion gegen Schweingrippe-Erreger fördern, hat der Experte zusammen mit US-Forschern der Mount Sinai School of Medicine in New York untersucht. Sie infizierten Meerschweinchen mit H1N1-Viren des aktuellen pandemischen Typs, die Nager steckten prompt ihre gesunden Artgenossen an.

Wenn die Tiere jedoch drei Wochen vorher mit normalen Grippeviren in Kontakt gekommen waren, wurde die Übertragung viel schwieriger. Vermutlich hatten die weniger gefährlichen Erreger das Immunsystem auf weitere Infektionen vorbereitet. Analysen des Nasenschleims zeigten, dass sich die Viren dann offenbar nur sehr schwer vermehren konnten. Gut möglich, dass dies beim Menschen ebenso funktioniert.

In einer weiteren Versuchsreihe testeten Staeheli und seine Kollegen die Wirkung von Interferon als möglichem Mittel gegen pandemische H1N1-Viren. Dieses Experiment war ein voller Erfolg: Als Nasenspray verabreichtes Interferon blockiert Schweingrippe-Infektionen - zumindest bei Meerschweinchen. Die detaillierten Studienergebnisse wurden aktuell vom Fachmagazin "Journal of Virology" publiziert.

Der Befund kam keineswegs unerwartet. Interferon wird sehr erfolgreich gegen Hepatitis C eingesetzt, seine Wirkung gegen Viren scheint indirekt zu sein, durch eine Regulierung der körpereigenen Immunabwehr. "Die Zellen werden in einen antiviralen Zustand versetzt." Danach fassen die Erreger kaum noch Fuß.

Tamiflu-Resistenzen

Weil Interferon die Viren nicht unmittelbar angreift, dürften letztere auch keine Resistenz dagegen entwickeln können, hoffen die Forscher. Ganz anders als beim Tamiflu-Wirkstoff Oseltamivir. Hier sind bereits vereinzelt resistente H1N1-Stämme aufgetaucht. Interferon ist allerdings berüchtigt für seine Nebenwirkungen. Als prophylaktisches Massenmedikament ist es deshalb nicht geeignet. Staeheli kann sich den Einsatz von Interferon allerdings bei Personen vorstellen, die mit H1N1-Patienten in Kontakt gekommen sind, aber selbst noch keine Symptome zeigen.