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Mit Karl Marx nach Brüssel

Von Tamás Dénes

Europaarchiv

Wien/Budapest - Ungarns Postkommunisten haben einen bemerkenswerten Schritt unternommen und sich Anfang des Monats klar für die Unterstützung des ungarischen EU-Beitritts entschieden. Offizielle Begründung für den Kurswechsel: Die EU sei "arbeiterfreundlicher" als Ungarn, wo ein ungezügelter Wild-West-Kapitalismus um sich greife.


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Zwar verfolgt die postkommunistische Arbeiterpartei "Munkáspárt", die bei den letzten Parlamentswahlen im April 2,16 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, schon seit ungefähr zwei Jahren eine EU-freundliche Linie. Offiziell bekannte sie sich aber erst jetzt im Rahmen einer Pressekonferenz dazu. Klar wurde: Die Linkspartei sieht - im Gegensatz etwa zur KPÖ vor der Volksabstimmung 1994 - ihre Chance in der Befürwortung des ungarischen EU-Beitritts. Gyula Thürmer, Vorsitzender von Munkáspárt erklärte der "Wiener Zeitung", warum:

Ausschlaggebend seien Überlegungen pragmatischer Natur gewesen, so Thürmer: Seiner Partei hätten es nämlich die arbeitsrechtlichen Regelungen in der EU angetan. Der Schutz der Werktätigen sei in der Gemeinschaft klarer formuliert und effektiver durchgesetzt als in Ungarn, wo derzeit ein "wilder Kapitalismus" tobe. So würden in Westeuropa Arbeiter nicht willkürlich von ihrem Arbeitgeber entlassen werden können, wie dies in Ungarn laut Thürmer problemlos möglich sei. Die Nachfolgeorganisation der letzten ungarischen Staatspartei unter Langzeit-Vorsitzendem János Kádár sieht nach der EU-Osterweiterung überdies mehr Mitsprachemöglichkeit für die Gewerkschaften, die in Ungarn in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung verloren hätten.

Ob Munkáspárt die europäische Bühne als politischer Faktor je betreten wird, ist allerdings mehr als fraglich: Die Arbeiterpartei unterhält zwar regelmäßige Beziehung zur viertgrößten Fraktion des Europäischen Parlamentes, der "Vereinigten Linken", der auch einige Grünparteien angehören. Laut Thürmer könne man sich auch durchaus vorstellen, hier nach den nächsten Nationalratswahlen tatkräftig mitzuwirken. Allerdings ist dazu die Überwindung der 5-Prozent Marke für den Einzug ins ungarische Parlament nötig. Eine Hürde, die noch zu nehmen ist.