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"Mit Kopf, Herz und Hand"

Von Stefan Melichar

Politik

Wiener Evangelisches Gymnasium ist Schule des Monats. | Auch Sozialberufe sollen interessant gemacht werden. | Wien. Dass die beiden jungen Erwachsenen, die freiwillig im Sekretariat ihrer ehemaligen Schule aushelfen, über deutlich mehr Lebenserfahrung verfügen als viele ihrer Altersgenossen, merkt man sofort. Leni und Dominik haben gerade erfolgreich die Matura am Evangelischen Gymnasium in Wien hinter sich gebracht. Darüber hinaus verfügen sie bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung: Leni ist Tischlerin, Dominik Goldschmied.


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"Die Schüler, die in unserem Werkschulheim neben der Matura eine Lehre machen, haben einen ganz anderen Zugang", erklärt Elisabeth Sinn, Direktorin des Evangelischen Gymnasiums. Bei der Lehrabschlussprüfung vor der Wiener Innung müssten sich die Schüler erstmals einer außerschulische Kommission stellen. Dort zu bestehen, stärke ganz einfach das Selbstbewusstsein. Darüber hinaus brächte, so Sinn, das tageweise Zusammenarbeiten in den jeweiligen Lehrwerkstätten ein gesteigertes Maß an Teamfähigkeit und Hilfsbereitschaft mit sich.

Wissen, was Arbeiten ist

Was Schüler aus ihrer Doppelqualifikation machen, ist unterschiedlich. Laut Sinn gibt es einige, die sofort nach der Schule im Lehrberuf weiterarbeiten, andere würden darauf aufbauen. So peilt zum Beispiel Leni eine weiterführende Ausbildung zur Restauratorin an.

Natürlich gibt es auch Schüler, die die zusätzlichen Fähigkeiten zunächst links liegen lassen. Dominik sieht seine Zukunft eher nicht als Goldschmied. Dennoch möchte er die Lehrausbildung nicht missen: "Jetzt wissen wir, was Arbeiten ist". Etwa zwei Drittel der Schüler entscheiden sich für eines der drei Lehrangebote Goldschmied, EDV-Techniker oder Tischler. Die Ausbildung startet mit Beginn der Oberstufe. Bis zur Matura dauert es dann noch fünf - statt der üblichen vier - Jahre. Den Schülern, die keine Berufsausbildung absolvieren, steht ein neusprachlicher Zweig offen.

Motivation statt Zwang

Allen Absolventen des Evangelischen Gymnasiums gemeinsam ist der geschärfte Blick für den adäquaten Umgang mit, so Sinn, "Menschen am Rand der Gesellschaft". Dabei liegt ihr vor allem die Seniorenbetreuung sehr am Herzen. Kinder sollten im Rahmen gemeinsamer Projekte lernen, mit alten Menschen umzugehen. Für Schüler der Oberstufe gibt es sogar die Möglichkeit eines entsprechenden Praktikums.

"Wir wollen Pflege- und Sozialberufe für die Schüler interessant machen", erklärt Sinn. Gemäß dem Motto "mit Kopf, Herz und Hand" sollten Kinder "sehr breit gestreut" ausgebildet werden. Das lobt auch Wolfgang Wittmann, Vorsitzender des Elternvereins: "Hier werden Kinder nicht in eine Richtung gedrillt." Den "hohen Ansprüchen" nähere man sich dabei über Motivation, nicht durch Zwang.

"Wenn wir es schaffen, den Schülern die natürliche Freude am Wissenserwerb zu erhalten, ist das ein Erfolg", weiß Lehrervertreter Daniel Landau. Die Fachjury der "Wiener Zeitung" traut ihm und seinen Kollegen das zu und hat das Evangelische Gymnasium zur Schule des Monats Juni gewählt.

Evangelisches Gymnasium

Das Evangelische Gymnasium wurde Mitte der 1990er-Jahre gegründet. Schirmherr ist das Evangelische Schulwerk A.B. Wien. Seit Herbst 2006 ist die Privatschule mit ihren rund 450 Schülern im elften Wiener Gemeindebezirk angesiedelt.

Die Schüler müssen nicht evangelisch sein, die Teilnahme an einem - konfessionell abgestimmten - Religionsunterricht ist jedoch Pflicht.