Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner erwartet wie viele den Rücktritt von Bischof Kurt Krenn, dessen Amtsbeginn in St. Pölten sich heute zum 13. Mal jährt, sieht aber darin kein Ende der "eigentlichen Probleme" der katholischen Kirche.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Jeden Tag rechnet man jetzt mit dem Rücktritt des St. Pöltener Diözesanbischofs Kurt Krenn. Auf die Frage, was sich dadurch für die katholische Kirche in Österreich verändere, sagt der angesehene Wiener Theologe Paul Zulehner: "Letztlich verändert sich wahrscheinlich sehr wenig."
Die Personalprobleme müssten zwar in den nächsten Jahren abgearbeitet werden, aber die "eigentlichen Probleme" seien völlig anderer Art: "Das ist diese tiefgreifende Transformationskrise, durch die die Kirche durch muss. Sie erlebt letztlich jetzt das wirkliche Ende der Konstantinischen Wende in Europa, wo das Christentum in Europa kultur- und staatsgestützt war." Heute hätten sich alle öffentlichen Einrichtungen aus dem religiösen Bereich zurückgezogen: "Jetzt muss die Kirche den Einzelnen gewinnen, und das ist in der Geschichte der Kirche in Österreich eine völlig neue Lage."
Natürlich seien auch die Personen an der Spitze einer Institution wichtig, aber mit Hinweis auf eine Studie des deutschen Allensbach-Institutes betont Zulehner, dass nicht die Personen und nicht der Umgang mit bestimmten Themen wie Sexualität, Frauen oder Freiheit dafür entscheidend seien, ob jemand die Kirche verlässt oder nicht, sondern "Gratifikationen": "Wenn ich soviel gewinne, dass ich sage, das reicht mir, dass ich bleibe, dann gehe ich auch nicht wegen eines Bischofs." Letztlich sollte man der Kirche nicht wegen eines Bischofs, sondern wegen der Verankerung im Evangelium angehören" Aber: "Wenn man die Kirchenaustrittszahlen in den Wochen nach dem Super-GAU in St. Pölten gelesen hat, dann zeigt sich eben, wie wenig verankert viele Kirchenmitglieder in diesem Zentrum der Kirche sind und wie leicht es ihnen fällt, uns die Mitgliedschaft aufzukündigen."
Personen stehen natürlich auch für Richtungen, Bischof Krenn steht sicher im traditionalistischen Lager. Für Zulehner besteht die Kunst der Kirche darin, "die jeweilige moderne Entwicklung mit der unverratenen Tradition zusammen zu halten". Dabei sei es zu allen Zeiten, insbesondere bei Übergängen - wie in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil - zu Auseinandersetzungen gekommen.
In Österreich sei man damals "mit Kardinal Franz König einen sehr mutigen offensiven Weg in die Moderne hineingegangen". Doch dann sei es konservativen Leuten gelungen, "einen neuen Kirchenkurs, eine ordentliche Kurskorrektur nach hinten zu machen". Diese Gruppe sei nun, "für sie tragisch, nicht über Argumente, sondern über die mangelnde Qualität von Personen gescheitert". Für Zulehner bleibt als Schlüsselfrage: "Wie geht das zusammen -- Freiheit mit Wahrheit? Die Wahrheit steht für die Tradition, die Freiheit für die Moderne."
Zulehner plädiert dafür, in der Kirche nicht beides gegeneinander auszuspielen, sondern, "Freiheit und Wahrheit wirklich so zusammen zu halten, dass wir modern und traditionstreu in einem sind. Er hält das für möglich und gibt sich überzeugt: "Das Evangelium ist moderner als vieles, was heute in der Kultur und in der Gesellschaft als modern gilt."
In St. Pölten habe man in der Priesterausbildung den Grundsatz missachtet: "Wir nehmen ins Amt nur jemanden, der menschlich so reif ist, dass er auch seine Sexualität integriert hat."
Zulehner betont: "Ich glaube, dass Rom auch deswegen so sensibel auf die St. Pöltner Verhältnisse schaut, weil sich hier ein Schaden angedeutet hat, der wirklich nicht mehr gutzumachen wäre: Wenn nämlich die Kirche das Vertrauen der Leute verlöre, dass man ihr Kinder und Jugendliche anvertrauen kann."
Sobald Krenns Rücktritt erfolgt, sieht das Kirchenrecht vor, dass das diözesane Domkapitel einen Administrator wählt, der mit eingeschränkten Vollmachten die Diözese leitet, bis Rom einen neuen Bischof ernennt. Sollte Rom einen Administrator von außen ernennen, etwa den bisherigen Visitator Klaus Küng, sähe Zulehner darin "eine Demütigung für die Leute in der Diözese, wenn man den Vormund noch länger lässt, als es nötig ist." Das würde signalisieren, dass es sich abgesehen vom Problem Krenn um eine "unmündige Diözese" handle.
Bis zur Ernennung eines neuen Bischofs, wobei einer von außen "wahrscheinlich" die beste Lösung wäre, empfiehlt Zulehner Rom ein sorgfältiges "Hineinhören in das gesamte Kirchenvolk", aber auch Rücksicht auf den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, der bemüht sei, die polarisierte Bischofskonferenz handlungsfähig zu machen. Wenn Rom ohne langen Konsultationsprozess sofort entscheidet, sieht er zwei klare Favoriten: Klaus Küng aus Feldkirch (der morgen in Rom erwartet wird) und Alois Schwarz aus Klagenfurt.