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Mit Lassalle gegen Merkel

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik

Progressive Allianz als Alternative zu Sozialistischer Internationale gegründet.


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Berlin. In die Innenpolitik Deutschlands mischt er sich mit seiner Rede nicht ein, das hat François Hollande bereits sehr bestimmt verkündet. Doch der Auftritt von Frankreichs Präsident am heutigen Donnerstag in Leipzig spricht für sich. Die deutschen Sozialdemokraten feiern ihr 150-jähriges Bestehen mit einem großen Festakt: Am 23. Mai 1863 wurde unter der Führung des Journalisten Ferdinand Lassalle der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet, der Vorläufer der ältesten deutschen Partei - der SPD.

Hollande will, worum die deutschen Sozialdemokraten in diesem Jahr kämpfen: die Niederlage der konservativen Kanzlerin Angela Merkel bei der Parlamentswahl im Herbst. Frankreichs sozialistischer Präsident tritt dafür ein, das eiserne Sparen in Europa, für das die Konservativen stehen, zu beenden. Die SPD möchte Merkel durch einen Kanzler Peer Steinbrück ablösen. Beide, Hollande und Steinbrück, haben indes schon bessere Zeiten erlebt, in den Umfragen sieht es nicht gut aus. Und kaum jemand in Berlin glaubt, dass der Wahlsieger am Abend des 22. September Steinbrück heißen wird.

Die SPD setzt alles daran, ihre vergrätzten Wähler zurückzugewinnen, die vor vier Jahren der Linkspartei oder den Konservativen ihre Stimme gegeben haben oder erst gar nicht wählen gegangen sind. In den Ländern ist die SPD gut unterwegs, doch bundesweit liegt Angela Merkel mit ihrer eisernen Sparpolitik vorne in der Wählergunst.

Die Einladung an den Wahlsieger Hollande ist lange ausgesprochen. Dass der Präsident schließlich weniger glanzvoll dastehen würde, war damals nicht klar. So gesehen wird sich die SPD weniger im Erfolg Hollandes sonnen können als gedacht. Auf der anderen Seite aber hat der Sozialist das Pensionsalter gesenkt und unter heftigen Protesten der politischen Rivalen eine Reichensteuer eingeführt - die deutsche Sozialdemokratie wiederum galt etlichen nach den unter dem Begriff Agenda 2010 subsumierten Schröderschen Arbeitsmarktreformen als nicht mehr "gerecht" genug - etwa mit der Ausweitung der Leiharbeit.

Gerechtigkeit im Fokus

Genau darauf, auf den Punkt "Gerechtigkeit", fokussiert nun die SPD ihren Wahlkampf samt Jubiläumsfeier. Man will einige Steuern erhöhen und manche der Arbeitsmarktreformen korrigieren. Von einer neuen Agenda für Deutschland ist die Rede. Und man will das Thema Europa deutlicher anpacken, als dies die CDU-Kanzlerin tut. "Früher als jede andere Partei hat die SPD erkannt, dass es nicht reicht, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität allein im eigenen Land durchzusetzen", sagt Parteivorsitzender Sigmar Gabriel zudem.

Am Vorabend des Festtags gründeten die Genossen in Leipzig gemeinsam mit Vertretern von 70 weiteren sozialdemokratischen Parteien das Netzwerk "Progressive Allianz" - eine Alternative zur "Sozialistischen Internationale", die Gabriel als "verknöchert" bezeichnet hatte. Lange habe man gehofft, so Gabriel, dass manches Mitglied über die "Sozialistische Internationale" demokratisiert werden könne, etwa die Nationaldemokratische Partei des früheren ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak. Der Präsident der "Sozialistischen Internationalen", Griechenlands früherer Ministerpräsident Georgios Papandreou, wirft Gabriel wegen der Gründung der "Progressive Alliance" eine Spaltung der Linken vor. Gabriel kontert, das neue Netzwerk solle leisten, was die Sozialistische Internationale nicht mehr könne: "Eine Plattform sozialdemokratischer Debatten im globalen Rahmen bieten." Substanzielle Beiträge zu den weltweiten Herausforderungen habe der alte Zusammenschluss zuletzt nicht geleistet. Die SPÖ sieht das ähnlich.

Faymann in Leipzig

Seinen großen Auftritt hat Gabriel, der seit 2009 an der Spitze der Partei steht, kurz nach halb eins im Konzertgebäude "Gewandhaus zu Leipzig"; Hollande hat da bereits seine Grundsatzrede gehalten. Man wird von der SPD als "älteste demokratische Partei auf unserem Kontinent" hören, die "Wegbereiter von Demokratie und Freiheit war", von Lassalle, der das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht forderte, von dem Parteivorsitzenden Otto Wels, der sich mit seiner historischen Rede 1933 im Reichstag den Nazis entgegenstellte, von Kanzler Willy Brandt und seiner Friedenspolitik im geteilten Europa und von der großen Idee Europa, die in Gefahr ist, weil die Gesellschaft auseinanderdriftet.

Unter den Gästen ist neben einem Dutzend Regierungschefs auch Kanzler Werner Faymann - anwesend sein werden auch die deutsche Kanzlerin Merkel und ihr Herausforderer Steinbrück. Anders als Gabriel, Hollande und Bundespräsident Joachim Gauck wird Steinbrück nicht sprechen. Aus der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus, heißt es dazu schlicht: Der Festakt sei keine Wahlkampfveranstaltung. Der Kanzlerin dankt man indes, dass sie sich dafür starkgemacht habe, den EU-Gipfel am Mittwoch in Brüssel für eine Anreise nach Leipzig zeitgerecht zu beenden.