An diesem Samstag feiert der Europa-Enthusiast, Parlamentarier und Demokratiereformer Heinrich Neisser seinen 80. Geburtstag.
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Wien. Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die Massenuniversität war längst Wirklichkeit, in einem dieser dunklen Hinterhofzimmer am Institut für Politikwissenschaft in der Währinger Straße: Ein gutes Dutzend Studenten traf sich zum Dissertantenseminar, um über den Fortgang ihrer Forschungsprojekte zu diskutieren. Ein Doktorand hatte sich in den Kopf gesetzt, die Auswirkungen des kommunistischen Gesellschafts- und Politiksystems Kubas auf dessen blühende Musikkultur zu untersuchen, und hatte zu dazu einen Kassettenrecorder mitgebracht, um seine Thesen auch akustisch untermauern zu können. Der Professor war begeistert von dieser Forschungsfrage - und brachte höchstselbst eine Flasche kubanischen Rums mit ins Seminar.
Es hat wahrscheinlich nicht viele Professoren in dieser - universitätstechnisch eher grauen - Zeit am Wiener Institut für Politikwissenschaft gegeben, die, erstens, eine solche Dissertation als Betreuer angenommen hätten, zweitens, die Begeisterung ihrer Studenten mit hochgeistigen Getränken befeuert, und, drittens, der Forschungsfrage auch mit dem gebotenen wissenschaftlichen Ehrgeiz begegnet wären.
Heinrich Neisser war ein solcher Universitätsprofessor.
Die kubanische Kommunismus-Musik-Dialektik, die den Musiker Neisser besonders unvermittelt ansprach, ist aber nur ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel: Seine Begeisterungsfähigkeit, die politisch um die beiden Pole Parlamentarismus und Integration Europas kreist, ist buchstäblich grenzenlos. Von daher verwundert es nicht, dass Neisser zu jener kleinen Schar überzeugter Liberaler gehört, die in der ÖVP mittlerweile Minderheitenschutz beantragen könnte.
Aus dieser Grundüberzeugung heraus hat es der gebürtige Wiener seiner Partei nie leicht gemacht. Wehe, wenn sich seine ÖVP wieder einmal allzu engstirnig und provinziell, zu kleingeistig und antiliberal gerierte, und das war in den vergangenen Jahren durchaus regelmäßig der Fall: Dann schonte er die eigene Gesinnungsgemeinschaft nicht, gerne auch via Interviews. ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ließ es sich vergangene Woche dennoch nicht nehmen, bei einer Festveranstaltung dem "lieben Heini Neisser" als "eine Art Gewissen, innovativen Vordenker, aber vor allem als Freund" zu danken und zum 80. Geburtstag zu gratulieren.
Neisser, am 19. März 1936 in Wien geboren, begann seine Karriere als Sekretär am Verfassungsgerichtshof. 1966 wechselte er ins Kabinett von Bundeskanzler Josef Klaus, der ihn 1969 zum Staatssekretär beförderte. 1975 wurde Neisser erstmals in den Nationalrat gewählt, wo er, so Anton Pelinka, zum "Starredner der oppositionellen ÖVP" aufstieg. Ende der 80er Jahre feierte Neisser ein Comeback in der Regierung Vranitzky II als Minister für Föderalismus und Verwaltungsreform; von 1990 bis 1994 war er Klubobmann und anschließend, bis 1999, Zweiter Nationalratspräsident.
Ab dann widmete er sich seiner Karriere als Universitätslehrer, wo ihn als Inhaber des Innsbrucker Jean-Monet-Lehrstuhls vor allem Fragen der europäischen Integration umtrieben. Daneben kämpft er bis heute für eine umfassende Demokratiereform, insbesondere für ein persönlichkeitsorientiertes Wahlrecht. Und erst kürzlich hat er nach mehr als 30 Jahren die Leitung des Präsidiums des IHS übergeben.
An diesem Samstag feiert Heinrich Neisser seinen 80. Geburtstag.