Mediziner träumen davon, Tumorzellen über das Blut aufzuspüren. Erste Erfolge zeigen sich.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Eine Krebserkrankung möglichst früh zu erkennen, ist das Ziel unzähliger Wissenschafter. Denn je eher ein Tumor entdeckt werden kann, desto wirksamer kann dieser auch bekämpft werden. Das rettet viele Menschenleben. Aus diesem Grund wird auch zu Vorsorgeuntersuchungen geraten. Regelmäßige Checks von Brust, Prostata, Darm und Haut bestimmen mittlerweile den medizinischen Alltag.
Die Daten sind zum Leidwesen der Betroffenen allerdings nicht beständig aussagekräftig. Immer wieder tauchen falsch-positive Befunde auf. Doch werden augenscheinlich Auffälligkeiten entdeckt, ist der erste Schritt zum Nachweis üblicherweise eine Entnahme von Tumorgewebe. Neueste technische Entwicklungen sorgen allerdings dafür, dass Krebszellen, genauer gesagt ihr Erbgut, heute auch schon im Blut aufgespürt werden können. Liquid Biopsy lautet das Schlüsselwort für diese Verfahren. Mit ihr könnte in ferner Zukunft der Heilige Gral der Krebsforschung tatsächlich gefunden und damit eine effiziente Früherkennung ermöglicht werden.
Wichtige Informationsquelle
Biopsien liefern wichtige Informationen für die Therapie von Krebs. Doch während Gewebeuntersuchungen meistens einen chirurgischen Eingriff erfordern, arbeiten Verfahren der Liquid Biopsy nur mit dem Blut der Patienten. Tagtäglich produziert der menschliche Organismus neue, frische Zellen. Alte Zellen sterben ab und werden über das Blut ausgeschwemmt. Dieser Prozess geschieht auch bei Tumoren. Zellbestandteile und zellfreie DNA zirkulieren in unserem Lebenssaft, lassen sich dort aufspüren und dienen den Medizinern als wichtige Informationsquelle. Genaue Ergebnisse liegen im Idealfall schon binnen weniger Stunden vor.
Beliebig oft wiederholbar
Während eine klassische Gewebebiopsie üblicherweise nur einmal durchgeführt wird, lässt sich die Liquid Biopsy im Gegensatz dazu beliebig oft wiederholen. Diese Möglichkeit eröffnet Chancen. Denn Tumore können im Verlauf der Erkrankung ihr genetisches Profil ändern, wodurch auch die Wirkung von Medikamenten verloren gehen kann, erklärt der Genetiker Wilfried Renner von der Medizinischen Universität Graz im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Mit der herausgefilterten DNA lassen sich neue Therapieentscheidungen treffen.
Die Verfahren, die derzeit schon in der Routine angewendet werden, sind von einer Früherkennung allerdings noch weit entfernt. Sie liefern erst Ergebnisse, wenn der Tumor schon relativ fortgeschritten ist. Zwar schwemmt ein Karzinom schon vom Beginn seines Wachstums an Erbinformation ins Blut, doch sei die Menge so gering, dass "wir das technisch noch nicht erfassen können", schildert der Experte. Damit eine Aussage getroffen werden kann, muss ein Krebsstadium mindestens der Stufe zwei oder gar drei vorliegen. Metastasen, also Tochtergeschwülste, können dann schon vorhanden sein. Ziel sei es, bei immer kleineren Tumoren und in immer früheren Stadien einen Nachweis erbringen zu können. Die derzeitigen Methoden müssen dafür aber noch verfeinert werden.
Ihre Stärken zeigt die Liquid Biopsy aktuell beim Monitoring einer Krebserkrankung. Dabei lässt sich der Krankheitsverlauf ebenso darstellen wie das Ansprechen einer Therapie. "Diese Verlaufskontrolle hält Schritt für Schritt allmählich Einzug in diverse Kliniken und Routineabläufe", schildert Renner. Es ermöglicht damit auch, Therapien anzupassen. Das ist immer wieder nötig, denn Tumore können sich sehr spontan in ihrer genetischen Zusammensetzung verändern und gegenüber den verabreichten Substanzen Resistenzen ausbilden, diese aber auch wieder verlieren. Warum solche Veränderungen überhaupt stattfinden, ist den Forschern noch ein Rätsel, doch mittels Liquid Biopsy werden sie sichtbar und die Medizin kann darauf reagieren.
Darm- und Lungenkrebs
Die Methode kommt derzeit in einzelnen Zentren beim Darmkrebs und beim Lungenkrebs schon zum Einsatz, erklärt der Mediziner. In den nächsten Jahren könnten das Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs) und das Mammakarzinom (Brustkrebs) folgen. Die Chance auf Erfolg ist allerdings von zwei Parametern abhängig: "Man benötigt immer das passende Pärchen von einem Biomarker, wie eine Mutation oder ein Gen, und einem dazugehörigen Medikament, von dem man weiß, dass es wirkt", betont Renner. Fern von Darm- und Lungenkrebs würden solche Pärchen zum Teil noch fehlen. Und deren Aufspüren könnte auch noch dauern.
Sensitivität verbesserbar
Solange auch die Sensitivität der Tests selbst noch verbesserbar ist, gehen die Mediziner hier sehr gezielt vor. Und die Anforderungen an Studien sind auch hoch. Ziel ist es, Verbesserungen, wie etwa die Verlängerung der Überlebenszeit, wirklich statistisch nachzuweisen. "Da brauchen wir noch viel Erfahrung und viele tausend Patienten, um zu lernen, wie gut das alles funktioniert, wo es Fallstricke gibt und welchen Vorteil es bringt", so der Genetiker.
Bisher bekommt man mit der Liquid Biopsy einen Überblick über den gesamten Körper. Es lässt sich nicht direkt sagen, von welcher Stelle die Signale genau kommen - ob es sich bei der DNA um jene vom Primärtumor, von Metastasen oder einem möglichen zweiten unabhängigen Tumor handelt. Auch muss nicht jede DNA mit einer bestimmten Mutation von einer Tumorzelle kommen. Um hier den richtigen Weg zu finden, "wird es noch viele Untersuchungen und viele große Studien brauchen".
Nach jetzigem Wissensstand wird die herkömmliche Gewebebiopsie in den nächsten Jahren nicht ersetzt werden. Denn in der Gewebeprobe erkennt man nämlich nicht nur das Erbgut, sondern auch die Ausreifung der Tumorzellen sowie ihren Differenzierungsgrad. "Da gibt es noch deutlich mehr Information, die der Pathologe liefern kann, die in der Klinik gebraucht wird", so Renner. Es wäre aber möglich, dass die Liquid Biopsy schon bald in der Nachsorge ihren Stellenwert finden wird. Neben der Verlaufskontrolle und der Therapieanpassung sieht Renner für die nächste Zukunft ganz besonders darin ein großes Potenzial.
Die Tumorfrüherkennung ist das große Ziel für die Zukunft. Die Entdeckung eines Karzinoms über eine einfache Blutprobe sei im Moment allerdings noch ein großer Wunschtraum, an dem gearbeitet wird. Dafür "müssen wir technisch noch viel sensitiver werden", erklärt der Experte. "Wir müssen noch sehr, sehr viele Mutationen suchen - auch mit dem Wissen, dass uns das zu falsch-positiven und falsch-negativen Ergebnissen führt." Erst große Datensammlungen - sprich Big Data - werden genauere Berechnungen möglich machen.
Wahrscheinlichkeiten
In der Endanalyse werde es bei der Früherkennung der Zukunft aber vermutlich zu keinen Ja-Nein-Urteilen kommen, schätzt Renner. Vielmehr werde es sich um Wahrscheinlichkeiten handeln, mit denen ein Risiko bestimmt werden kann. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 83 Prozent befindet sich ein kleines Karzinom im Darm, könnte eine Aussage der Zukunft lauten. Oder: Es lässt sich mit einer mehr als 93-prozentigen Wahrscheinlichkeit ein Krebs ausschließen. "Ich vermute, wir werden solche Wahrscheinlichkeitsantworten bekommen, und die werden, wenn wir technisch besser werden, immer exakter sein können", so der Genetiker.