Die Galapagos-Insel Floreana wurde in den 1930er | Jahren zum Ziel von deutschen Aussteigern. | Eine exaltierte Wienerin verwandelte das | Paradies allerdings in eine Hölle.
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Sprechen kann er nicht mehr. Nur die Augen funkeln fiebrig, böse Blicke durchbohren Dore, seine Lebensgefährtin. Dann, gegen 21 Uhr, kommt das Ende. Kurz zuvor hatte Friedrich Ritter noch seine Abschiedsworte zu Papier gebracht: "Ich verfluche dich im letzten Augenblick!"
Die Tragödie am Äquator hatte ihren Anfang im Berlin der Zwanziger Jahre genommen, in Ritters Praxis in der Schöneberger Kalckreuthstraße. Der 1886 in Wollbach bei Lörrach geborene Arzt und Spezialist für psychosomatische Störungen traf auf die 15 Jahre jüngere, verheiratete Lehrerin Dore Körwin. Ihren Gatten empfand dieser als spießig. Und auch Ritter fühlte sich in einer unglücklichen Ehe gefangen.
Dore himmelte Friedrich Ritter, das blond gelockte, stämmige Multitalent, geradezu an - er hatte auch Zahnmedizin und diverse Naturwissenschaften studiert. Sein Streben galt jedoch der Weiterentwicklung eines eigenen philosophischen Systems, in dem Zeit, Raum, sowie "die Kausalität und ihre innere Beziehung" eine tragende Rolle spielten, angereichert mit Versatzstücken von Nietzsche und Laotse sowie einer Prise Kapitalismuskritik und Rassismus. Zudem war Dr. Ritter eitel, er glaubte, Goethes "Faust" wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein.
Zivilisationsflucht
Das Liebesleben der beiden Paare war selbst für Berliner Verhältnisse nicht alltäglich, insbesondere als sie eine schlichte Lösung für ihr Problem fanden: Partnertausch. Dore ließ sich wieder mit ihrem Mädchennamen Strauch anreden und begeisterte sich für Ritters Vorhaben, der Zivilisation, die ihm "nichts Neues, nichts Wissenswertes mehr bot", zu entsagen. Am 2. Juli 1929 stachen sie in See. Ritter hatte sich zuvor sämtliche Zähne ziehen lassen und stattdessen ein klobiges Gebiss aus Metall gebastelt.
Die beiden entschieden sich für die 173 Quadratkilometer große Galapagosinsel Floreana, ein nun menschenleeres Eiland aus Vulkangestein mit einer Süßwasserquelle, das zuvor von Piraten, Walfängern und als Strafkolonie genutzt worden war. Charles Darwin war 1835 auf dem rund 100 Kilometer westlich der Küste Ekuadors gelegenen Archipel zu seinem bahnbrechenden Werk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese" inspiriert worden.
Am Morgen des 17. September 1929 schreibt Ritter in sein Tagebuch: "Floreana liegt vor uns, seine drei höchsten Berge, 500 bis 600 Meter hoch, sind in Wolken gehüllt."
Die beiden zimmern sich eine grobe Laube, nennen sie "Frido", den Garten des Friedens, und leben von Früchten, Eiern und selbst Angebautem. Gern nehmen sie Geschenke von gelegentlich anlegenden Yachten entgegen. Berliner Zeitungen berichten ironisch über die Zivilisationsflüchtlinge, die "nackt, wie Gott sie schuf" herumtollten. Ein Gassenhauer machte die Runde: "Die Sonne brennt auf Mensch und Tier. Links die Palmen, rechts der Ozean, in der Mitte, da sind wir."
Im August 1932 treffen neue Siedler ein: das Kölner Ehepaar Margret und Heinz Wittmer mit dem 13-jährigen Sohn Harry. Sie wollten der Wirtschaftskrise entfliehen und suchten Luftveränderung für den lungenkranken Jungen. Die realistischen Rheinländer einerseits - Wittmer war Sekretär des Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt, Konrad Adenauer gewesen - und die esoterisch angehauchten Berliner Robinsons mochten sich nicht.
1933 kam Wittmer-Sohn Rolf als erster auf Floreana beurkundeter Mensch zur Welt. 1937 folgte Tochter Ingeborg-Floreanita.
Nur zwei Monate nach Ankunft der Neulinge verwandelt sich die Insel allerdings in einem wahren Höllenort. Eine vierköpfige Gruppe unter Führung der herrschsüchtigen Wienerin Eloise Wagner de Bousquet, die sich als leibhaftige Baronin ausgibt, entert das Eiland. Auf der Flucht vor Gläubigern hatte sie sich aus dem Pariser Nachtleben ins Abenteuer Floreana gestürzt. Sie beabsichtigt, ein Luxushotel zu errichten.
Die Nymphomanin tritt stets leicht bekleidet und schwer bewaffnet auf - mit Peitsche und Pistole -, und fordert von den Insulanern Gehorsam. Im Schlepptau hat sie drei Liebhaber: einen Ekuadorianer, der sich allerdings bei erster Gelegenheit absetzt, ferner ihren vorgeblich Angetrauten Robert Philippson aus Berlin - und den jungen Dresdener Rudolf Lorenz. Während Philippson und Lorenz schuften, veranstaltet die Baronin Schießübungen und ernennt sich schließlich zur Kaiserin. Als solche "beschlagnahmt" sie für die Siedler bestimmte Waren, fischt deren Sendungen aus der Posttonne und liest ungeniert fremde Briefe.
Nun sind auch New Yorker Zeitungen auf das tolle Treiben am Ende der Welt aufmerksam geworden, Scharen von Journalisten gehen an Land. Das ist gut für die geschäftlichen Interessen der Baronin, die sich nun auch als Spionin und Tänzerin, gleichsam als Reinkarnation von Mata Hari ausgibt.
Despotische Baronin
Es ist schlecht für die Wittmers, die ungestört arbeiten wollen, und auch für das Strauch-Ritter-Paar, dessen Zuneigung sich inzwischen abgekühlt hat. Der Arzt macht kein Hehl aus seinem Hass gegen die Baronin. Sie würdigt seine Philosophie herab, an der er Tag für Tag arbeitet. "Grausames Karma", findet Ritter.
In der Zwischenzeit hat sich Lorenz’ Gesundheitszustand verschlechtert, und damit auch seine Arbeitsfähigkeit. Er sinkt, laut Margret Wittmer, "zum Haushund der Teufelin" herab. Doch je weniger Widerstandskraft Lorenz aufbringt, desto häufiger wird er von seiner Herrin mit der Peitsche traktiert. Ritter hingegen setzt sich zur Wehr. Er denunziert die "Kaiserin von Floreana" beim Gouverneur des Archipels als geisteskrank. Der Schuss geht allerdings nach hinten los. Der Politiker kommt vor Ort in den Genuss einer, so Frau Wittmer, "heißen arabischen Nacht" an der Seite der wilden Wienerin. Im Anschluss erhält sie vier Quadratmeilen Land für ihren Hotelkomplex, der allerdings nie über zwei Wellblechhütten hinausgekommen ist.
Im März 1934, Lorenz ist inzwischen die Demütigungen leid und schlägt sich alleine durch, verschwinden Eloise und Philipp-son spurlos. Margret Wittmer erinnerte sich an eine Bemerkung der Baronin, sie wolle "in die Südsee auswandern". Niemand hatte jedoch ein Schiff gesichtet. Die wahrscheinlichste Lösung des Rätsels lautet: Doppelmord, schon weil es niemanden gab, der kein Motiv dafür hatte. Jeder traute jedem die Untat zu. Neben Ritter ist Lorenz der Hauptverdächtige. Der hatte zwar Angst vor der Frau, aber auch ein Gewehr, mit dem er umzugehen wusste. Die Entsorgung von Leichen stellte übrigens kein Problem dar. Das tosende Meer holt alles, und die Haie tun ein Übriges.
Derweil zieht es Lorenz zurück nach Dresden, er überredet den norwegischen Fischer Nuggerud, ihn nach San Christobal mitzunehmen, einen Galapagos-Hafen, von dem aus das Festland angelaufen wird. Das Boot - und der Schiffsjunge - tauchen nie wieder auf. Am 17. 11. 1934 entdecken Fischer die Leichen vom Nuggerud und Lorenz auf der unbewohnten Insel Marchena. Weit ab vom vorgesehenen Kurs. Die Männer sind wohl verdurstet.
Zwischen Strauch und Ritter herrscht inzwischen blanker Hass. Er ist vom Sozialdarwinismus überzeugt und stößt sich an Dores durch Multiple Sklerose hervorgerufene, fortschreitende Gehbehinderung.
Tödliches Huhn
Vier Tage nach dem grausigen Fund auf Marchena stirbt Friedrich Ritter. Der Tod war schleichend gekommen. Der Prediger fleischloser Ernährung hatte verdorbenes Wildschweinfleisch an Hühner verfüttert, die daraufhin verendeten. Ritter aß das Geflügel. Noch kurz zuvor hatte er den seltsamen Satz zu Papier gebracht: "Ich fühle mich sogar verpflichtet, Fleisch zu essen, wenn ich durch irgendwelche Umstände als Mitschuldiger in Tiermord verwickelt bin." Dore soll sich 24 oder sogar 48 Stunden Zeit gelassen haben, um Wittmers zu Hilfe zu holen. Zudem waren ihre Angaben zu den Todesumständen widersprüchlich.
Friedrich Ritter fand auch post mortem keinen Frieden. Sein Grab wurde bald von Souvenirjägern geplündert, seine philosophischen Traktate wurden nie veröffentlicht.
Dore Strauch verließ die "Insel der toten Deutschen" und kehrte heim nach Berlin, wo sie in der Psychiatrie landete, und am 11. Mai 1943 verstarb. Den Wittmers ist es gelungen, sich auf Floreana zu etablieren. Die Insel hat heute rund 100 Einwohner, darunter etliche Wittmer-Nachkommen.
Die Robinsonade wurde bereits mehrfach literarisch und filmisch verarbeitet. Hier einige Beispiele:
Friedrich Ritter: "Als Robinson auf Galapagos". Books on Demand 2008 (Neudruck der Originalausgabe des Abenteurers von 1935).John Treherne:"Verloren im Paradies. Die Galapagos-Affäre". Roman. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1989.Günter Seuren: "Die Galapagos-Affäre". Roman. Ullstein, Berlin 2001.Georges Simenon: "Hotel Zurück zur Natur". Roman. Diogenes, Zürich 2006.Nicolas Montemolinos: "Drama auf Floreana". Bericht. Books on Demand 2013."The Galapagos Affair:Satan Came to Eden".Dokumentarfilm von Dayna Goldfine und Dan Geller, Berlinale 2014: http://www.kino-zeit.de/
blog/berlinale-2014/the-galapagos-affair-satan-came-to-edenUlrich Zander, geb. 1955, lebt als freier Journalist in Berlin und ist spezialisiert auf historische, insbesondere kriminalhistorische Themen.