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Mit Phrasen lassen sich keine Kriege verhindern

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

Unter dem Titel "Europas Weg zu einer neuen Verfassung" hat Leo Gabriel in einem Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" am 26. Juni die üblichen Vorurteile gegen die EU bestens bedient und Reklame für das Europäische Sozialforum gemacht. Dessen Charta beinhaltet den "denkwürdigen" Satz, dass das Europa der Völker militärische Gewalt ausschließt.


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Viele solcher Sätze fanden nach den beiden Weltkriegen Eingang in Chartas, Resolutionen und Beschlüssen internationaler Organisationen. Damit lassen sich keine Kriege verhindern, wohl aber mit einer Vertiefung der europäischen Integration, wie sie der Vertrag von Lissabon vorsieht.

Der Autor hat darüber hinaus in seinem Beitrag, in dem er nicht für europaweite Volksabstimmungen eintritt, sondern fordert, dass über den Weg nationaler Volksabstimmungen Entscheidungen dem Souverän überlassen werden, hellsichtig die Verabschiedung der SPÖ vom österreichischen Grundkonsens in der EU-Politik vorweggenommen. Warum nicht in allen EU-Staaten Volksabstimmungen über Neuaufnahmen, etwa Kroatien, durchführen, oder über die gemeinsame Asyl- und Sicherheitspolitik der EU? Die Folge kann nur eine schrittweise Auflösung der EU und die Herausbildung eines "Kerneuropas" sein. Leidtragende wären vor allem die kleinen Länder.

Bis zum Überdruss wird das Argument der undemokratischen EU wiederholt. Verschwiegen wird, dass die Geschichte der EU auch eine Geschichte der Stärkung des gewählten Europäischen Parlaments ist und sich der Rat zwar nicht aus gewählten Vertretern der Mitgliedsstaaten zusammensetzt, aber immerhin aus den nationalen Parlamenten verantwortlichen Regierungsvertretern.

Die populäre Forderung nach Aufnahme sozialer Rechte in den Verfassungsvertrag, etwa ein Recht auf Grundeinkommen, ist naiv. Dafür gäbe es angesichts der Uneinigkeit innerhalb vieler Mitgliedsstaaten niemals Zustimmung. Und aus einer unverbindlichen, allgemeinen Formulierung dieses Rechts könnten die Bürger keine konkreten Ansprüche ableiten.

Recht hat Gabriel, dass das Vertragswerk in einem für Laien unverständlichen Kauderwelsch abgefasst ist. Das ist bedauerlich, aber kaum änderbar. Allgemeinverständlichkeit hieße, dem Europäischen Gerichtshof einen breiten Auslegungsspielraum zu eröffnen. Keine sehr demokratische Perspektive. Apropos Allgemeinverständlichkeit: Man lese die Artikel der österreichischen Bundesverfassung zur Zuständigkeit von Bund und Ländern im Bereich der Elektrizität.

Zuzustimmen ist dem Verfasser auch, wenn er für eine Europäische Bürgerschaft eintritt. Allein, wie soll diese zu Stande kommen, wenn sich die Mitgliedsstaaten nicht einmal auf eine Europäische Flagge und Hymne einigen konnten? Durch nationale Volksabstimmungen?

Erhard Fürst war viele Jahre Leiter der Abteilung Industriepolitik und Wirtschaft in der Industriellenvereinigung.