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Mit Ratten rechnen statt kuscheln

Von Bettina Figl aus Stockholm

Politik

Österreichweit gehen fünf Prozent der Väter in Karenz, in Schweden sind es 85 Prozent. | Früher Eintritt in den Kindergarten ist in Schweden Usus.


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Stockholm/Wien. "Auch Michael Spindelegger war schon hier!" Mit diesen Worten öffnet Yvonne Hall die Tür des Kindergartens Täppan. Sein Besuch war kurz, doch das Verweilen hätte sich ausgezahlt, wie der Rundgang mit Yvonne Hall - blond, sportlich, so etwas wie die Managerin hier - zeigt: eine bunte Welt voller Lavalampen, Piratenfahnen und Plüsch.

Doch die Umgebung soll nicht nur zum Spielen, sondern auch zum Lernen animieren. Die Ratten aus Stoff sind nicht nur zum Kuscheln da. Die Kinder sollen erzählen, wo sie die Tiere gefunden haben: Ortsangaben wie "unter, hinter, vor" würden helfen, ein mathematisches Verständnis zu entwickeln. "Wir lernen alles durch spielen", so Hall.

80 Kinder tummeln sich auf zwei Stockwerken und 800 Quadratmetern - und kommen sich dank vier Altersgruppen dennoch nicht in die Quere; die Jüngsten sind zwischen einem und zwei Jahren alt, die "Regenbogen"-Gruppe besteht aus 14 Kleinstkindern. Wenn sie im Herbst hier anfangen, können sie kaum sprechen, aber schon im Frühjahr erzählen sie von ihren Wochenendplänen. Jede Gruppe wird von zwei Pädagoginnen und einer Helferin betreut, der Betreuungsschlüssel ist somit etwa 5:1.

Alle Pädagoginnen haben einen Uni-Abschluss: Seit über 30 Jahren werden sie universitär ausgebildet. In Österreich soll es dies ab 2013 geben, dann soll es eine einheitliche Ausbildung für alle Lehrer geben. Bis dahin werden angehende Kindergartenpädagogen wie bisher an Berufsbildenden höheren Schulen ausgebildet - in Schweden reicht eine vergleichbare Ausbildung gerade einmal zur Kindergartenassistentin.

Kindergartenpädagogik unbedingt auf Unis

Braucht man ein Uni-Studium, um Kleinkinder zu betreuen? Ja, lautet die einhellige Meinung in Skandinavien. Hier ist längst unumstritten, dass frühkindliche Förderung die Basis für den weiteren Bildungsweg ist. In Österreich wird hingegen mehr als die Hälfte der unter Dreijährigen zu Hause betreut, und viele wollen diese "schönste Zeit" mit den Kindern nicht missen.

Doch auch in Täppan will man die Eltern am Fortschritten, die die lieben Kleinen machen, teilhaben lassen: Fette Ordner dokumentieren ihre ersten Schreibversuche, Selbstgebasteltes baumelt von der Wand, Ausflugsfotos sind am Computer zu sehen.

Schwedische Eltern schrecken nicht davor zurück, die Kinder früh abzugeben: "Es ist gut, dass sie schon früh lernen, mit anderen Kindern zu interagieren", sagt der 33-jährige Architekt Daniel Norell. Seine Zwillinge Iris und Ivar sind zweieinhalb, die Kinder laufen wild durch den Raum und machen auch vor Fensterscheiben nicht halt. Seit sie eineinhalb Jahre alt sind, gehen sie in den Kindergarten. Davor war zuerst Norells Freundin ein Jahr lang zu Hause, für ein weiteres halbes Jahr übernahm der Papa die Betreuung.

Ob Architekt, Lehrer oder Fabrikarbeiter: In Schweden gehen 85 Prozent der Väter in Karenz. Tut man es nicht, wird man schon einmal verwundert angeschaut. In Österreich gehen etwa 95 Prozent nicht in Karenz - doch die fragenden Blicke bleiben aus. In Schweden wird während der Karenz 16 Monate lang das volle Gehalt ausbezahlt, die Kosten teilen sich Staat und Arbeitgeber.

In Schweden geht so gut wie jede/r in Karenz

Zwei Monate der Karenz müssen von jenem Elternteil bezogen werden, das kürzer beim Kind bleibt (meistens der Vater). In Österreich gehen gerade einmal fünf Prozent der Väter in Karenz; und anders als in Schweden werden sie nicht dazu verpflichtet. Trotz allem gibt es auch hierzulande erste Erfolge: Die kurzen Kindergeld-Varianten (zwei Monate bleibt der Vater, zwölf die Mutter zu Hause) sind offenbar für Männer attraktiver; 30 Prozent nutzen diese. Heiß diskutiert wird auch die Ausweitung des "Papa-Monats". Dieser soll auf die Privatwirtschaft ausgedehnt werden. Derzeit gibt es nur für Männer im öffentlichen Dienst die Möglichkeit,, nach der Geburt eines Kindes einen Monat lang unbezahlt zu Hause zu bleiben.

Arbeit und Kinder bekommt man in Schweden leichter unter einen Hut: In den Kindergarten Täppan kommen die meisten der Kinder im Alter zwischen einem und zwei Jahren. Die Konsequenz: Schweden ist bei der Frauenerwerbstätigkeit weltweit unter den Spitzenreitern (fast 77 Prozent, in Österreich 69 Prozent), im Schnitt bekommt jede von ihnen 1,7 Kinder (Österreich 1,4).

So fortschrittlich die frühkindliche Bildung in Schweden ist, der Männeranteil unter den Kindergartenpädagogen ist kaum höher als bei uns; sie machen nur zwei bis drei Prozent aus. Männliche Bezugspersonen gibt es trotzdem: So gut wie alle Väter der Täppan-Kinder gehen in Karenz. Wenn die Eingewöhnungstage stattfinden und die Kinder an ihren ersten Tagen von einem Elternteil begleitet werden, befinden sich die Kinder oft in exklusiven Männerrunden - denn die zweite Hälfte der Karenz übernehmen meist die Papas. Doch Hall gibt zu: In den Vorstädten sehe die Welt anders aus, und auf die Frage nach Kindern mit Migrationshintergrund sagt sie nur: "Das ist Stockholm City." Der Migrantenanteil ist hier gleich null. Dass Täppan ein Vorzeigekindergarten ist, zeigt sich auch beim Rundgang: Die Kinder zeigen sich unbeeindruckt von Fotokamera und ausländischem Besuch - kein Wunder, wenn sogar Politiker zu Stippvisiten vorbeischauen.