Rain Gönül Halat-Mec wünscht sich weniger Islam in der Integrationsdebatte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Rain Gönül Halat-Mec arbeitet als Fachanwältin für Familienrecht in Frankfurt am Main; in ihren Beruf ist sie von klein auf hineingewachsen. "In gewisser Weise war ich schon immer Anwältin", meint sie und lacht. "Ich habe so viele Leute, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, zu den Behörden begleitet. Darunter waren meine Eltern, alle Bekannten, die ganze türkische Community."
Halat-Mec kam 1973 als türkisches Gastarbeiterkind nach Deutschland. Ihre Eltern waren Ende der 60er Jahre aus Ostanatolien nach Deutschland gekommen und arbeiteten am Fließband. Sie wollten eigentlich gleich wieder zurück in die Türkei. Was Halat-Mec beim Einleben in Deutschland geholfen hat, war ihr Umfeld. Sie bezeichnet es als Glück, in einem Dorf gewesen zu sein, wo sie die einzige Migrantin in der Klasse war.
"Ich bin deutsch aufgewachsen. Meine Freunde und Bekannte waren Deutsche und haben mich unterstützt." Ihre Eltern kannten das Bildungssystem nicht. Warum Halat-Mec ins Gymnasium gehen und deshalb eine langen Schulweg in Kauf nehmen soll, war für sie nicht einleuchtend. "Dabei war für meine Eltern Bildung sehr wichtig. Sie wünschten sicht, dass ich Ärztin werde. Aber wie? Da hatten sie keinen Durchblick. Für sie - wie für viele andere Zuwanderer - war das deutsche Bildungssystem nicht nachvollziehbar." Deshalb hätte auch viele eine Karriere nicht geschafft. "Man brauchte dafür entweder Glück, oder sehr viel Ehrgeiz und schafft es auf dem zweiten Bildungsweg, was freilich deutlich schwieriger ist."
Dass anderen Zuwandererkindern die deutschen Freunde fehlten, liege auch an der jahrelang falsch betriebenen Wohnungspolitik, die eine Durchmischung der Gesellschaft verhindert hat. Sie wohnten in Vierteln, wo es kaum angestammte Deutsche gab.
Am Mittwoch spricht Rain Gönül Halat-Mec in Wien bei der Initiative "Frauen ohne Grenzen" über "Säkulare Musliminnen im Spannungsfeld von Kopftuch und Moschee". Halat-Mec betont: "Das Thema sind eigentlich nicht Kopftuch und Moschee. Das sind Symbole für den Islam. Daran wird das Islamsein festgemacht - leider. Vieles hat nichts mit Religion zu tun. Es geht um Bildungsdefizite." Die ganze Integrationsdebatte sei "mit Religion überfrachtet".
Den Eindruck habe sie zuweilen auch bei der Deutschen Islamkonferenz, an der sie neben Vertretern von Islamverbänden teilnimmt: "Es ist ein Irrglaube zu denken: Wenn wir die Religion integrieren, ist auch der Mensch integriert." Zuweilen komme es ihr vor, dass man islamische Theologie und Imameausbildung als Allheilmittel der Integration sieht.
"Aufklärung ist wichtig"
Halat-Mecs Mandanten stammen großteils aus türkischen oder arabischen Familien. "Als ich mit meiner Arbeit begonnen habe, habe ich mir gedacht: Bei den Türken wird es doch nicht so viele Scheidungen geben." Mittlerweile haben sich die Scheidungen dort dem deutschen Durchschnitt angeglichen. Gewisse spezifische Probleme ortet sie in einigen Milieus schon. Manche Frauen - sie nennt unter anderem "Importbräute aus der Türkei" - hätten "überhaupt nicht die Möglichkeit, unabhängig zu sein. Das liegt an der Rechtslage, der Bildung und der Religion."
Die Religion betone oft die Rolle des Manns als Oberhaupt, während die Frau für die Kinder zuständig sei. Eine Mandantin, die kein Deutsch kann, sagte zu ihr: "Mein Mann hat einen deutschen Pass und sagt mir, dass er dafür sorgen kann, dass ich abgeschoben werde und meine Kinder verliere." Die juristischen Einwände Halat-Mecs wurden von der Frau mit Skepsis aufgenommen, weil sie das Rechtssystem nicht kennt.
Wichtig sei Aufklärung. "Ich referiere regelmäßig in Frauenhäusern über das Rechtssystem." Halat-Mec regt Beratungsstellen und Handreichungen für Moscheen an. "Für mich ist Religion Privatsache", sagt sie. Das sei auch die Devise der "Frankfurter Initiative progressive Frauen", die sie gemeinsam mit anderen muslimischen Akademikerinnen gegründet hat. Die Initiative hilft etwa Jugendlichen bei Bewerbungsschreiben. Hinzu kommen Mentoren, die ihnen bürokratische Tipps geben oder auch ein Praktikum verschaffen.