Militärische Niederlagen bringen Putin in Bedrängnis, USA und Nato sprechen Referenden Legitimität ab,
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Als sich in der vergangenen Woche die Mitglieder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) im usbekischen Samarkand trafen, machte ein bemerkenswertes Foto die Runde. Zu sehen ist darauf, wie die Staatschefs der vorwiegend autokratisch regierten Länder nach dem offiziellen Programm in entspannter Art und Weise um zwei kleine Tische herum sitzen und sich unterhalten. Den Vorsitz führt dabei allerdings nicht Kriegsherr Wladimir Putin, sondern Recep Tayyip Erdogan. Während der Kremlchef - beinahe eingequetscht vom belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und dem tadschikischen Machthaber Emomalij Rahmon - auf einem Sofa sitzt, thront der türkische Präsident auf einem eigenen Stuhl sichtbar erhaben über allen anderen.
Das Foto aus Samarkand mag eine Momentaufnahme und ein Detail sein, doch es fügt sich in ein Gesamtbild, das sich mit Russlands militärischen Niederlagen im Osten der Ukraine zunehmend verdichtet. Immer öfter muss sich Putin, der in Samarkand auch von Indiens Premierminister Narendra Modi wegen seines Ukraine-Feldzugs öffentlich getadelt wurde, Kritik aus Staaten gefallen lassen, die früher zur russischen Einflusssphäre gehört haben oder sich bisher überwiegend neutral verhalten haben.
Besonders viel Gegenwind bekommt Putin dabei derzeit aus der Türkei. So hat Erdogan in einem am Montagabend ausgestrahlten Interview mit dem US-Sender PBS mit klaren Worten die Rückgabe der von Russland besetzten Gebiete an die Ukraine gefordert. "Wenn in der Ukraine ein Frieden hergestellt werden soll, wird natürlich die Rückgabe des besetzten Landes wirklich wichtig. Das wird erwartet", sagte der türkische Präsident wenige Stunden vor seinem für Dienstagabend geplanten Auftritt vor der UN-Generalversammlung in New York.
In dem Interview bezog sich Erdogan, der in der Vergangenheit sowohl gute Beziehungen zu Moskau wie auch zu Kiew gepflegt hat und im Ukraine-Krieg daher immer wieder auch als Vermittler aufgetreten ist, auch ausdrücklich auf die vor der Invasion am 24. Februar besetzten Gebiete. Auch die von Russland 2014 annektierte Krim müsse an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden, sagte der türkische Staatschef.
Dass Wladimir Putin in absehbarer Zukunft bereit ist, über den Status der besetzten ukrainischen Gebiete zu verhandeln, scheint derzeit allerdings ausgeschlossen. So hat die russische Regierung am Dienstag angekündigt, in den von Moskau anerkannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk und im umkämpften Gebiet Cherson bereits vom 23. bis 27. September über einen Beitritt zu Russland abstimmen zu lassen. Erwartet wurde ein ähnlicher Schritt auch in der Region Saporischschja, in der das größte und immer wieder unter Beschuss geratene ukrainische Atomkraftwerk liegt.
USA verurteilen scharf
Die angekündigten Abstimmungen in der Ukraine sind von den westlichen Staaten scharf verurteilt worden. "Wir werden dieses Gebiet niemals als etwas anderes als einen Teil der Ukraine anerkennen. Wir weisen das Vorgehen Russlands eindeutig zurück", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington am Dienstag. Auch von der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach den Referenden die Legitimität ab. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte die Referenden für völkerrechtswidrig erklärt. Es sei "ganz, ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können, dass sie nicht gedeckt sind vom Völkerrecht und von den Verständigungen, die die Weltgemeinschaft gefunden hat", sagte Scholz am Dienstag am Rande der UN-Generalversammlung in New York.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte die Abstimmungen als klaren Verstoß gegen die UN-Charta. "Wir werden niemals den Versuch Russlands anerkennen, seine illegale und brutale Besetzung ukrainischer Gebiete zu legitimieren", sagte sie am Rande der UN-Generalversammlung in New York. "Die Absicht, die Grenzen der Ukraine zu verschieben, ist völlig inakzeptabel und ein klarer Verstoß gegen die UN-Charta und die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine", so von der Leyen weiter.
Der Kreml dürfte in den Scheinreferenden dennoch ein taugliches Vehikel sehen, um die besetzten Gebiete trotz der jüngsten ukrainischen Gegenoffensive nachhaltig unter Kontrolle zu bringen. Denn nach einem Beitritt zu Russland wären die betroffenen Regionen im Süden und Osten der Ukraine nach der Logik Moskaus russisches Staatsgebiet, dessen Verteidigung ganz anderen Regeln unterliegt. Russland könne dann "alle Mittel des Selbstschutzes" anwenden, schreibt der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew, der in den vergangenen Tagen immer wieder die Abhaltung von Referenden gefordert hat, auf seinem Telegram-Kanal.
Sollte Russland den Verteidigungsfall ausrufen, würde es für Putin wohl deutlich einfacher werden, eine Mobilisierungskampagne für die unter eklatanter Personalnot leidende russische Armee zu rechtfertigen. Noch wichtiger dürfte für den Kreml aber wohl das nukleare Argument sein. Denn laut der russischen Militärdoktrin können bei einem Angriff auf russisches Staatsgebiet auch Atomwaffen zur Verteidigung eingesetzt werden.