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Mit Schweigen zu Kaukasus-Konflikt erweist EU Moskau einen Bärendienst

Von Ines Scholz

Analysen

Der Westen ist rasch zur Stelle, wenn es darum geht, Terroranschläge in Moskau zu verurteilen. So bekundete Angela Merkel dem Kreml und den Opfern des vermutlich von nordkaukasischen Islamisten verübten Blutbads auf dem Flughafen Domodedowo ihr "tiefes Mitgefühl".


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Es ist klar, dass nach einem solchen Terrorakt tiefe Betroffenheit herrscht. Das Problem ist nur: Die EU misst in dem innerrussischen Konflikt mit zweierlei Maß. Sonst müsste sie gelegentlich auch die brutalen Menschenrechtsverletzungen offen kritisieren, die die russischen Sicherheitskräfte ihrerseits fast täglich in der abtrünnigen Krisenregion Kaukasus begehen. Deren Opfer sind ebenfalls vor allem Zivilisten. Sie werden entführt, zu Tode gefoltert oder verschwinden spurlos. Doch dazu schweigt der Westen beharrlich. Lediglich bei spektakulären Morden - etwa an der bekannten tschetschenischen Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa oder der Tschetschenien-Reporterin Anna Politkowskaja - hört man leise Proteste.

Diese Haltung widerspricht dem Anspruch des Westens als globaler Hüter der Menschenrechte. Für Chinas Tibet-Politik oder Irans Umgang mit Oppositionellen werden ja auch immer wieder mahnende Worte gefunden. Im Kaukasus-Konflikt wird dieses Prinzip leichtfertig geopfert.

Europa will es sich wegen der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen mit der Moskauer Führung nicht verscherzen, tönt es aus Europas Hauptstädten. Zudem sind europäische Firmen in Russland groß im Geschäft. Bei den USA spielen wiederum strategische Überlegungen mit - immerhin läuft ein Teil des US-Afghanistan-Nachschubes über Russland.

Der Westen erweist Moskau mit seiner Politik des demonstrativen Wegschauens allerdings einen Bärendienst. Und sich selbst auch. Denn selbst wenn Russland es sich nicht eingestehen will: Seine bisherige Nordkaukasus-Politik der eisernen Faust ist gescheitert. Selbst das martialische Aufgebot an Anti-Terror-Einheiten und Armee-Sondertruppen konnte die Separatisten nicht bremsen. Mittlerweile hat der einst auf Tschetschenien begrenzte säkulare Aufstand gegen Moskau längst auch alle anderen Nordkaukasus-Republiken erfasst. Und er wird mittlerweile von radikalen Islamisten geführt, die Russland und die gesamte Region zu destabilisieren drohen.

Klar ist: Militärisch ist der Konflikt für Moskau nicht zu gewinnen. Der Westen müsste deshalb ein reges Interesse daran haben, auf eine politische Lösung zu pochen - etwa eine weitreichende Autonomieregelung für die Krisenregion. Und sich **selbst als ehrlicher Makler in Stellung bringen. Es gibt auch gemäßigte Kräfte unter den Separatistenführern.

Mit einseitigen Verurteilungen wird der Nordkaukasus-Konflikt nur weiter angeheizt - wie das jüngste Terrorattentat tragisch vor Augen führt.