Stationärer Handel reagiert auf Online-Konkurrenz und Urbanisierung. Doch auch die Internet-Giganten schmieden Pläne.
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Wien. Ein riesiges Geschäft vor den Toren der Stadt aufstellen, günstige und solide Möbel anbieten: Jahrzehntelang hat Ikea mit seinem Erfolgsrezept weltweit Wurzeln geschlagen. Doch damit alleine lassen sich Umsatz und Wachstum nicht mehr herbeiführen. Die Menschen ziehen in die Stadt, viele besitzen kein eigenes Auto mehr. Und wenn sie eines haben, sind sie immer weniger bereit, lange Einkaufsfahrten zu machen. Zeit für einen Strategiewechsel.
"Man muss es den Menschen einfach machen. Wir müssen lebensnah sein", sagt Niklas Larsson, Business Development Manager bei Ikea Österreich. Der Möbelkonzern kommt daher zu den Menschen - und lässt sich in den Zentren der Städte nieder. Weltweit sind "City Stores" geplant, in Stockholm und Mailand gibt es sie schon, erst am Montag wurde ein Geschäft in Paris eröffnet. Noch 2019 soll mit dem Bau einer Filiale beim Wiener Westbahnhof begonnen werden, die geplante Eröffnung: 2021.
Emotionen und Attraktionen
Die Urbanisierung und das Einkaufsverhalten sind nur zwei der Herausforderungen, mit denen sich der stationäre Handel beschäftigen muss. Wie er damit umgehen soll, darüber wurde am Donnerstag bei einem Symposium des Beratungsunternehmens "RegioPlan" diskutiert.
Der Tenor der Branchenexperten: Nur noch gute Produkte anzubieten und diese passend zu vermarkten, reicht für den stationären Handel vielerorts nicht mehr aus. Gerade im Hinblick auf die Konkurrenz aus dem Internet muss er mehr bieten. "Der stationäre Handel muss bei den Kunden Emotionen erwecken", sagt Regioplan-Geschäftsführer Wolfgang Richter. "Früher hat sich auf einem Marktplatz das Leben abgespielt. Ich glaube, wir gehen nun dorthin zurück", meint Herman Kok vom Immobilieninvestor Meyer Bergman.
So könne man nicht mehr einfach nur ein Kino und eine Bowlingbahn in ein Einkaufszentrum setzen, es brauche neue Erfahrungen und Attraktionen für die Kunden, sind sich die Experten einig. Bei Ikea am Westbahnhof soll etwa eine öffentlich zugängliche und schicke Dachterrasse Besucher anziehen.
Auf Erlebniswelten setzt vermehrt auch der größte österreichische Betreiber von Einkaufszentren, die SES Spar European Shopping Center Group. In der slowenischen Hauptstadt Ljubljana arbeitet sie an einem neuen Zentrum, in dem sich eine gigantische Sportanlage befinden wird - samt Fußball- und Tennisplätzen. "Zuerst muss ich die Menschen zum Standort bringen und sich wohlfühlen lassen. Das generiert die Frequenz. Und die Frequenz generiert dann den Umsatz", sagt Alexander Eck, Leiter der Abteilung für Immobilienentwicklung bei der SES.
Shoppen und Skifahren
In Nordamerika, China und Dubai haben sich Einkaufszentren bereits zu regelrechten Vergnügungskomplexen entwickelt. Riesige Schwimmbäder mit Wellenbädern und Rutschen, Riesenräder, Tiergärten, Eislaufbahnen und sogar Skipisten finden sich dort neben Geschäftslokalen.
Ob diese Gigantomanie auch in Europa funktioniert, wird sich wohl im nächsten Jahrzehnt in Paris zeigen. Dort soll, etwas außerhalb der Stadt, der Vergnügungskomplex "EuropaCity" entstehen, 2024 soll er eröffnet werden.
Derartige Großprojekte seien in Europa schwerer zu realisieren, meint Kathrin von Soosten von ECE Projektmanagement, das Einkaufszentren entwickelt und betreibt. Es gebe für solche Projekte schlicht weniger verfügbare Flächen, Betreiber und Investoren, auch der Widerstand in der Bevölkerung sei größer. Hinzu kämen noch gesetzliche Vorgaben wie etwa die streng geregelten Öffnungszeiten.
Salonfähiger scheinen in Europa derzeit eher kleinere Konzepte zu sein. Im Einkaufszentrum "L&T" in Osnabrück wurde etwa ein Wasserbecken mit einer künstlichen Welle eingebaut, auf der die Besucher surfen können. Die Attraktion habe die Frequenz enorm gesteigert, berichtet Kathrin von Soosten.
Aber nicht nur die Einkaufszentren, auch die Geschäftslokale selbst setzen sich vermehrt in Szene - und machen sich die Selfie-Geilheit der Gesellschaft zunutze. Das französische Kosmetikunternehmen L’Occitane inszeniert in seinem Flagship-Geschäft in New York etwa künstliche Kulissen, die der Provence nachempfunden sind - samt bunten Fahrrädern und Blumentöpfen. Der Clou: Besucher fotografieren sich davor, posten das Bild in den Sozialen Medien und machen dadurch kostenlose Werbung für das Geschäft und die Marke.
"Willst du nicht eine Suppe?"
Doch auch der Online-Handel schläft nicht, wie Andreas Steinle vom Beratungs- und Forschungsunternehmen Zukunftsinstitut ausführte. In China kann man in einem Geschäft eines Kosmetikhändlers seine Haut bei einem Bildschirm scannen - daraufhin werden dem Kunden Produkte vorgeschlagen. Von wem die Technologie dafür stammt? Vom chinesischen Internet-Riesen Alibaba.
Amazon wiederum hat ein eigenes Spracherkennungspatent angemeldet, das auf Gemütslagen in Stimmen reagieren soll. Ein Beispiel: Eine verkühlte Person sagt dem Amazon-Gerät: "Bitte bestelle mir eine Pizza." Das Gerät erkennt das Krächzen und fragt: "Willst du nicht lieber eine Hühnersuppe?" In so manchem Nutzer ruft ein solches Produkt wohl Orwell’sche Ängste hervor. "Diese Skepsis ist aber nur ein europäisches Phänomen", sagt Andreas Steinle zur "Wiener Zeitung". In Asien und den USA haben die Kunden weit weniger Bedenken gegen solche Technologien: "Und die Märkte dort sind weit größer und interessanter für die Unternehmen."
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