Mit ihren "Sex-Reports" hat die Soziologin Shere Hite weltweit Furore gemacht. Als Person hat sie mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit provoziert. Die engagierte Feministin, die am Samstag (2. November) 60 Jahre alt wurde, hat lange blonde Locken. Sie trägt enge Kostüme, tiefe Dekolletees und Stöckelschuhe und behauptet, dass "weibliche Kleidung ein Zeichen weiblicher Stärke ist". Ihr Mann, der deutsche Pianist Friedrich Höricke, ist gut 20 Jahre jünger als sie.
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Mit ihm lebt die frühere Amerikanerin, die 1996 ihren US-Pass abgab, um Deutsche zu werden, seit Jahren in Köln. Weitere Wohnsitze unterhält sie in Paris und London. Außerdem pendelt die attraktive Forscherin regelmäßig nach Japan, wo sie einen Lehrstuhl inne hat, und zu Gastvorlesungen in alle Welt. Als kleines Mädchen, das in einem Kaff im konservativen Mittleren Westen der USA aufwuchs, habe sie sich nicht träumen lassen, "einmal ein so aufregendes Leben zu führen", bekennt Hite in einem Interview.
Als Shirley Diana Gregory kommt sie 1942 in St. Joseph (US-Bundesstaat Missouri) zur Welt. Drei Jahre später trennen sich die Eltern, und sie wird fortan von den Großeltern aufgezogen. Nach New York kommt sie, um an der renommierten Columbia Universität Geschichte zu studieren. Ihren Lebensunterhalt und das Studium verdient sie sich als Fotomodell. Für den "Playboy" lässt sie alle Hüllen fallen.
1972 wird Hite die Leitung des "Feminist Sexuality Project NOW" in New York übertragen. Sie schreibt ihre ersten Bücher, "Sexual Honesty" und "By Women For Women" (1974), und bekommt Lehraufträge an einigen der besten Universitäten der Welt, Harvard (USA), McGill in Kanada, Cambridge (Großbritannien) und Sorbonne (Frankreich). Ihre erste Studie zur weiblichen Sexualität, "The Hite Report: A Nationwide Study of Female Sexuality", macht sie über Nacht berühmt. Der erste "Hite Report" wird zum Millionen-Bestseller.
In ihm macht die Forscherin klar, dass Frauen keinen Mann brauchen für ein erfülltes Sexualleben und schon gar nicht für den Orgasmus. In ihrem zweiten "Report" untersucht Hite die sexuellen Neigungen der Männer. Sie stößt darauf, dass Männer zu ängstlich sind, jene Frauen zu heiraten, die sie leidenschaftlich lieben. Der dritte Bericht, "Frauen und Liebe", verrät, dass Frauen anderen Frauen mehr vertrauen als ihren eigenen Männern.
Kritiker werfen der Autorin mangelnde Wissenschaftlichkeit, Sensationsschreierei und Parteilichkeit vor. Ihre Statistiken werden angezweifelt, die Antworten ihrer Fragebogen-Studie als nicht repräsentativ abgetan. "Sie startet mit einem Vorurteil und läuft mit einer Statistik ins Ziel", schreibt die Kolumnistin Ellen Goodman in der Zeitschrift "Time". Hite erwidert gelassen, dass Freud seine Thesen schließlich auch nur auf einige Damen der Wiener Oberschicht basiert habe.
Ihrem vierten Report "Erotik und Sexualität in der Familie" liegen die Äußerungen von 3.000 Befragten in 16 Ländern zu Grunde. Aus ihnen zieht Hite den Schluss, dass die Kinder allein erziehender Mütter besser dran sind als jene, die unter dem bevormundenden väterlichen Einfluss aufwachsen.
Alles wie gehabt
In der Autobiografie "Report in eigener Sache - mein Leben, Sex und Politik" (1996) lässt Hite ihrer Enttäuschung über die USA freien Lauf. Ihr jüngstes Buch, "Sex & Business, Frauen und Männer bei der Arbeit", zeigt, dass im Berufsleben weiterhin das traditionelle Rollenmuster vorherrscht und Konflikte dadurch an der Tagesordnung sind.