In Deutschland zieren sich die Grünen, mit der großen Koalition die Flüchtlingspolitik zu verschärfen und die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Österreich betrachtet Algerien, Tunesien und Marokko seit Februar als sicher.
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Brüssel/Berlin/Wien. Viel Zeit bleibt der schwarz-roten Koalition in Deutschland nicht mehr, um das Ruder herumzureißen. Am Freitag entscheiden die Mitglieder der zweiten Parlamentskammer, dem Bundesrat, ob Algerien, Tunesien und Marokko als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Im Bundestag ging die Verschärfung des Asylrechts dank der komfortablen Regierungsmehrheit locker durch, doch in der Länderkammer sehen die Machtverhältnisse anders aus. Denn in 10 der 16 deutschen Bundesländer sind die Grünen Koalitionspartner. Mindestens drei grün mitregierte Länder müssten daher mit CDU/CSU und SPD stimmen. Doch in der Öko-Partei herrscht großes Unbehagen ob der Menschenrechtslage in den Maghreb-Staaten, und so droht das Gesetz zu kippen.
Keine Verfolgung, keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, keine Androhung von Gewalt und kein bewaffneter Konflikt: Das sind die vier Kriterien für ein sicheres Herkunftsland laut internationalem Recht der Genfer Konvention und der Asylverfahren-Richtlinie der EU. In allen drei Maghreb-Staaten wird noch immer Folter praktiziert, musste selbst die deutsche Regierung einräumen. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wird in Algerien in inoffiziellen Haftanstalten, die nicht dem Justizministerium unterstehen, gefoltert. In Marokko wird das international geächtete "Waterboarding" praktiziert, also das simulierte Ertränken. In Tunesien wie auch Algerien bleiben Vergewaltiger straffrei, wenn sie ihr Opfer, das unter 20 beziehungsweise unter 18 Jahre alt sein muss, heiraten. Und Homosexualität ist in allen drei Ländern strafbar.
"Wir Grüne dürfen Verfahrenserleichterungen nicht über die Menschenrechte stellen", fordert Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der deutschen Grünen, gegenüber n-tv. Das zielt auf Baden-Württembergs grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Er koaliert mit der CDU und hat sich noch nicht festgelegt. Skeptiker von Grün-Schwarz in beiden Parteien reiben sich bereits die Hände.
Zwölf EU-Staaten führen Liste sicherer Herkunftsländer
Gemäß einer Gesetzesnovelle im November 2015 sollen Asylverfahren in Deutschland für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern innerhalb von drei Wochen einschließlich des möglichen Widerspruchs vor einem Verwaltungsgericht beendet sein. Aus bis zu fünf "besonderen Aufnahme-Einrichtungen" werden abgelehnte Bewerber in ihre Herkunftsländer zurückgebracht.
In Österreich gab die Regierung dieses Jahr gar das Ziel von Zehn-Tage-Schnellverfahren für Asylwerber aus sicheren Herkunftsländern aus. Neben Österreich und Deutschland operieren derzeit zehn weitere EU-Staaten mit einer entsprechenden Liste, darunter Frankreich, Großbritannien, Belgien, Tschechien und die Slowakei. Deren Inhalte variieren aber stark: Auf Irlands Liste der sicheren Herkunftsländer findet sich nur Südafrika, während Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro gleich auf neun Länderlisten stehen. Aus jenen drei Staaten plus Albanien, Mazedonien, dem Kosovo und der Türkei stammten laut EU-Kommission 17 Prozent aller 2014 in der Union gestellten Asylanträge.
Politisch ist die Liste der sicheren Herkunftsländer ein Signal der Abschreckung. Migranten haben zwar das Recht, Asyl zu beantragen, doch in der Regel praktisch keine Chance darauf.
Bereits 2015 betrug die Anerkennungsquote in Deutschland für Flüchtlinge aus Marokko 2,3 Prozent, bei Tunesiern lag sie sogar bei null Prozent. Auch spielen die Maghreb-Staaten bei den Flüchtlingszahlen eine untergeordnete Rolle. Von fast 206.000 Asylwerbern seit Jahresbeginn liegt einzig Marokko mit rund 2500 Personen unter den ersten zehn Plätzen der Herkunftsnationen. Die größte Gruppe stellen die rund 72.000 Syrer. Bei der Zahl der gestellten Asylanträge 2016 findet sich überhaupt keines der Maghreb-Länder unter den ersten zehn Nationen.
Rücknahme-Abkommen funktionieren nicht
Angesichts der Kalamitäten mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und der Konkurrenz von rechts durch die Alternative für Deutschland braucht Kanzlerin Angela Merkel jedoch dringend ein Signal an die Befürworter einer restriktiven Flüchtlingspolitik.
Ausgerechnet Personen aus den Maghreb-Ländern standen im Mittelpunkt der Ereignisse in der Kölner Silvesternacht, als es zu vielfachen Übergriffen gegen Frauen kam. Köln legte auch schonungslos die Abschiebeprobleme offen. Eilig hat Deutschland danach Rücknahmeabkommen mit Marokko und Algerien geschlossen. In der Praxis funktioniert das System nicht, auch weil abgelehnte Asylwerber nur mit Linienflügen abgeschoben werden dürfen und hierbei maximal vier entsprechende Plätze pro Flugzeug zur Verfügung stehen. Auch weigern sich Piloten, Asylwerber an Bord zu nehmen. Nordrhein-Westfalen etwa konnte nur 20 von 1500 Asylwerbern aus Marokko mit negativem Bescheid abschieben. Die EU verhandelt gar seit 2003 mit Marokko über ein europaweites Rücknahmeabkommen.