Zum Hauptinhalt springen

Mit Sicherheit nach Brüssel

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Premier Tusk steht zwar nicht zur Wahl, rührt aber die Werbetrommel. Die eigentlichen Kandidaten spielen oft nur eine Nebenrolle.
© reu/Lenoir

Im polnischen EU-Wahlkampf setzen die zwei größten Parteien auf außen- und energiepolitische Themen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Warschau/Brüssel. Ein Abgeordneter fügt Puzzlesteine zusammen, ein anderer kokettiert mit seinem Übergewicht, ein dritter setzt auf Waldgeräusche. Gut zwei Wochen vor der EU-Wahl vergeht kaum ein Tag, an dem polnische Politiker nicht mit einem neuen Werbefilm in den sozialen Netzwerken auf sich aufmerksam machen wollen. Diese nutzen vor allem jene Kandidaten, die nicht auf die finanziellen Möglichkeiten der etablierten Parteien zurückgreifen können, die mit riesigen Plakaten und Fernsehspots in den Wahlkampf gezogen sind - und deren Vertreter auch den Einzug ins EU-Parlament schaffen werden.

Denn trotz der Schwankungen in Meinungsumfragen ist eines gewiss: Mit einem Mandat in Brüssel können nur Mitglieder jener drei Parteien rechnen, die sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts auch in einer Regierung behaupten mussten. 51 Sitze sind für polnische Abgeordnete reserviert; neun landesweit antretende Gruppierungen wollen sie sich untereinander aufteilen. Die Fünf-Prozent-Hürde könnten auch noch die mitregierende Bauernpartei PSL oder die Neue Rechte des wirtschaftlich ultraliberalen Exzentrikers Janusz Korwin-Mikke überspringen - doch da gehen die Prognosen schon auseinander.

Die meisten Mandate werden jedenfalls die regierende Bürgerplattform (PO) von Premierminister Donald Tusk und die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski erhalten. Sie könnten jeweils ein knappes Drittel der Stimmen lukrieren. Auch das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) hat Aussicht auf einige Mandate. Die Fraktion wird - nach Wechseln an der Spitze - erneut von Leszek Miller angeführt, der einen Tag nach Polens Beitritt zur Europäischen Union als Premier zurückgetreten war.

Die ersten zehn Jahre des Landes in der Gemeinschaft sind denn auch Thema in der Kampagne - wenn auch längere Zeit ein anderes dominierte. Es war nämlich vielmehr die Krise in der Ukraine, die die Schlagzeilen sowie die politischen Debatten beherrschte. Die Ereignisse im Nachbarland sind der Regierung in Warschau gleich in zweifacher Hinsicht mehr als nur ein Grund zur Sorge. Einerseits sind sie ein herber Rückschlag für die Annäherungspolitik der EU an die östlichen Nachbarn, die gerade Polen forciert hatte. Statt der Ukraine die Perspektive auf eine noch engere Anbindung an die Union zu geben - etlichen polnischen Politikern wäre gar die Aussicht auf eine Mitgliedschaft am liebsten - müssen die Polen dem wachsenden Einfluss Russlands zusehen. Und das ist das Zweite, das ihnen Sorgen bereitet.

Zwist mit Moskau

Dabei waren die Beziehungen zwischen Warschau und Moskau schon zuvor angespannt. Es ging dabei nicht nur um historische Zwistigkeiten, sondern auch um aktuelle Handelskonflikte. So verhängten russische Behörden immer wieder Einfuhrverbote für polnische Waren. Umgekehrt ist Polen zum Teil von russischen Gaslieferungen abhängig.

Daher wurde auf einmal Sicherheit zu einem Wahlkampf-Thema. Sicherheit für die Bevölkerung und bei der Energieversorgung. Tusk präsentierte sich als Staatsmann, der als Regierungschef eines Nato-Landes auf die Unterstützung der Verbündeten zählen kann und im Kreis seiner europäischen Amtskollegen für eine Energieunion wirbt. Auch Oppositionsführer Kaczynski griff die Debatte auf, warf der Regierung eine zu weiche Position gegenüber dem Kreml sowie eine Vernachlässigung der polnischen Kohleabbau-Industrie vor und traf sich mit Landwirten, die von den russischen Fleischimport-Verboten betroffen sind.

Weder Tusk noch Kaczynski bewerben sich selbst um einen Sitz im EU-Parlament, doch sind sie bekannter als die meisten Kandidaten. Sie wollen die Wähler davon überzeugen, dass ihre Partei die Interessen der Landsleute in der EU besser vertritt als die Konkurrenz. Wer mehr in Brüssel für Polen erreichen kann, dominiert denn auch die Debatte.

Tatsächlich hat das Land von seinem Unionsbeitritt bereits enorm profitiert. War das Wohlstandsniveau noch vor zwanzig Jahren mit jenem in der Ukraine vergleichbar, erreicht etwa die inländische Kaufkraft mittlerweile fast zwei Drittel des Durchschnitts der älteren westeuropäischen EU-Mitglieder.

Ob dies Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung am 25. Mai haben wird, ist freilich offen. Laut Umfragen wollen mehr als ein Drittel der Berechtigten ihre Stimme abgeben. Ähnlich waren die Prognosen vor fünf Jahren. Doch dann ging gerade einmal jeder Vierte zur Urne.