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Mit voller Wucht

Politik

In Russland explodiert die Zahl der Corona-Infizierten. Nach dem Ölpreisverfall eine weitere schwere Hypothek fürs Land.


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Nach dem dramatischen Absturz des Ölpreises mit fatalen Folgen für Russlands Wirtschaft und das Staatsbudget trifft nun auch die Corona-Pandemie das Land mit voller Wucht. Lange hatte sich die offizielle Zahl der Infizierten im Nachbarland Chinas auf niedrigem Niveau gehalten und Russlands Nationalstolz angefacht, wenn im Staatsfernsehen über die Lage in Italien, Spanien oder Frankreich berichtet wurde. Doch nun sind die Neuinfektionen regelrecht explodiert. Allein von Sonntag auf Montag wurden von den russischen Behörden 10.581 neue Fälle gemeldet, am Vortag war mit 10.633 neuen Infektionen binnen 24 Stunden gar ein neuer Rekordwert erreicht worden.

Laut den offiziellen Zahlen wurden in dem 146 Millionen Einwohner zählenden Land 145.268 Menschen positiv getestet, das sind vier Prozent der weltweit Infizierten (der Anteil Russlands an der Weltbevölkerung beläuft sich auf zwei Prozent). Nach absoluten Zahlen rangiert Russland inzwischen auf Platz 7 der am stärksten betroffenen Länder.

Russische Gesundheitsexperten schätzen, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt, da es in Russland massiv an Testkapazitäten mangelt. Bis Montag starben nach offiziellen Angaben 1350 Menschen an dem Virus, damit liegt die Sterberate mit knapp einem Prozent deutlich unter dem globalen Durchschnitt. 17.000 Personen sind laut dem Gesundheitsamt wieder genesen. Angesichts des maroden Gesundheitssystems samt veralteter medizinischer Ausrüstung abseits der großen Metropolen hegen viele russische Kommentatoren und Bürger in den sozialen Medien aber Zweifel an den veröffentlichten Todeszahlen.

Epizentrum der Krise ist Moskau, wo rund die Hälfte der Corona-Infektionen gezählt wurden. Auch Ministerpräsident Michail Mischustin und Wladimir Jakuschew, der Minister für Bauwesen, dürften sich in der Elf-Millionen-Einwohner-Metropole angesteckt haben. Jakuschew musste ins Spital gebracht werden.

Höhepunkt kommt erst

Moskaus Bürgermeister Sergei Sobyanin schwor die Bevölkerung angesichts der exponentiellen Infektionskurve auf eine rigorose Einhaltung der verordneten Schutz- und Isolationsmaßnahmen ein und drohte gegebenenfalls mit einer Verschärfung der seit etwa einem Monat geltenden Ausgangssperre. "Die Bedrohung steigt weiter", sagte er. Vor Mitte Mai sei deshalb mit einer Lockerung nicht zu rechnen. Auch die meisten Unternehmen blieben geschlossen. Der enge Gefolgsmann von Präsident Wladimir Putin schätzt, dass sich de facto bereits mehr als 250.000 Russen mit dem neuen Corona-Virus infiziert haben könnten.

Neben Moskau steigt auch in einigen anderen Landesteilen, vor allem in Sibirien, die Zahl der Neuinfektionen dramatisch an. Die Entscheidung über Schutzmaßnahmen, um die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen, obliegt den einzelnen Gouverneuren. Einige von ihnen müssen sich im September der Wahl stellen, entsprechend groß ist ihr Interesse, die Wirtschaft rasch wieder hochzufahren. Denn die Arbeitslosigkeit ist in Russland zuletzt coronabedingt in die Höhe geschnellt. Und nach dem Ende des von Putin angeordneten Zwangsurlaubs für Angestellte und Arbeiter wird die Zahl der Kündigungen Mitte Mai noch einmal deutlich steigen.

Russlands Privatwirtschaft, aber auch die Staatskonzerne kämpfen massiv mit den Folgen der Corona-Krise. Das wirkt sich auch auf das Staatsbudget aus. Laut Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow kostet der Stillstand den russischen Staat pro Tag rund 100 Milliarden Rubel (etwa 1,2 Milliarden Euro) an Steuereinnahmen. Als einer der größten Energieexporteure der Welt spürt Russland die im Zuge der Corona-Krise weltweit gesunkene Nachfrage nach Öl und Gas besonders deutlich. Hinzu kommt ein inzwischen gelöster Streit mit Saudi-Arabien um Fördermengen, der den Ölpreis stark gedrückt hat. Russlands Staatsetat fußt auf einem Preis von 42 US-Dollar (39 Euro) je Barrel. Am Montag lag der Preis für die europäische Sorte Brent bei 26,21 US-Dollar (24,10 Euro). Und Experten rechnen nicht mit einer raschen Erholung des Marktes.(is)