Der Brexit hätte ein Weckruf sein können, dass etwas falsch läuft - auch beim außenpolitischen Kurs, den Europas Regierungen gewählt haben.
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An der Hand lassen sich jene Auftritte des scheidenden US-Präsidenten Barack Obama abzählen, bei denen er Europa noch in den letzten Monaten seiner Amtsperiode aufhorchen lässt. Einer davon war wohl jener am heurigen Nato-Gipfel, der am 8. und 9. Juli 2016 in Warschau stattfand.
Neue Ergebnisse oder gar Lösungen kamen dabei allerdings nicht zustande. Stattdessen haben sich die Staaten des Militärbündnisses auf eine Abschreckung gegen den Feind Russland eingeschworen. Bemerkungen wie jene des französischen Präsidenten François Hollande, der in Russland "keine Bedrohung" sieht, stoßen auf Ablehnung, vor allem beim Friedensnobelpreisträger Obama, dem scheinbar mehr an der Aufrüstung Osteuropas liegt als an der Eindämmung der Flüchtlingskrise.
Der Brexit hätte eigentlich ein Weckruf sein können, dass etwas falsch läuft - und zwar nicht nur im Staatengefüge der Europäischen Union, sondern beim außenpolitischen Kurs, den Europas Regierungen gewählt haben. Ein Weckruf war die Entscheidung für den EU-Austritt Großbritanniens dann auch für Washington. Das Säbelrasseln gegen Putin wird nämlich genau zu dem Zeitpunkt verschärft, wo manche EU-Mitgliedsstaaten ernsthaft über eine Lockerung oder gar Aufhebung der bis Jänner 2017 verlängerten Sanktionen gegen Russland nachdenken. Eine Entspannung zwischen dem Westen und Moskau rückt folglich weiter in die Ferne.
Es genügt nicht länger, das Erstarken populistischer Kräfte als Hauptursache für den Vertrauensverlust der Bevölkerung in die EU zu sehen - dieser ist lediglich eine von vielen Folgen eines missglückten außenpolitischen Kurses, der spätestens 2003 seinen Anfang genommen hat. Also im Jahr, als der damalige britische Premierminister Tony Blair sich für den Krieg gegen den Irak einsetzte, aus dessen Scherbenhaufen die heutige IS-Terrormiliz hervorgegangen ist. Noch jetzt ist Blair von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugt. Er ist "im Windschatten des Kriegstreibers" George W. Bush gewandelt, schreibt ein Redakteur im "Spiegel", der allerdings unerwähnt lässt, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ebenso diesem Schatten blindlings gefolgt ist.
Wenige Jahre später sollte Großbritannien erneut einen ähnlichen strategischen Fehler begehen. Britische Militäreinheiten intervenierten unter dem Codenamen "Operation Ellamy" 2011 in Libyen. Während der Kämpfe um Sirte, den letzten Rückhalt Muammar Gadaffis, wurden Rebellen in der Region, die sich heute als IS-Kämpfer entpuppen, großzügig mit Waffen ausgestattet.
Nicht wesentlich anders verlaufen die Maßnahmen im Kampf gegen die Regierung Bashar al-Assads in Syrien. Aufrüstung und Abschreckung, Intervention und Flucht. Für so manchen stellt sich die Frage, was denn nun schlimmer ist: die Lust am Krieg, die Militärbündnisse wie die Nato legitimiert, oder die Kurzsichtigkeit der Regierenden, die Entscheidungen treffen, mit denen sich die Zivilgesellschaft nicht mehr identifizieren kann und die den europäischen Grundprinzipien von Frieden und Freiheit diametral widersprechen?