In kleinen Bauerndörfern gibt es nur eine Partei, die ÖVP. In manchen Positionen liegen die Bewohner mit ihr jedoch über Kreuz.
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Loibersdorf. Eine haushohe Pyramide aus Heuballen steht neben der Landstraße. Auf die Spitze hat jemand in großen schwarzen Lettern "ÖVP" geschrieben. Sonst nichts. Eine einfache Botschaft. Seit Jahrzehnten macht man das hier so. Wahl für Wahl stapeln die ansässigen Bauern Heuballen aufeinander und werben damit für die ÖVP. So geht Wahlkampf im Mühlviertel.
Hundert Meter weiter steht eine Plakatwand neben der Landstraße. Ein überdimensionierter Sebastian Kurz im Slim-Fit-Anzug blickt konzentriert in die Zukunft. "Jetzt. Oder nie!" prangt daneben. Ein modernes Sujet. Smarte Werbeagenturen haben die Kampagne für die Bundespartei konzipiert. So geht Wahlkampf im Mühlviertel auch.
Wenige Tage vor der Nationalratswahl ist die Region mit ÖVP-Plakaten zugepflastert. Würde das Verhältnis der Wahlwerbung das Wahlergebnis widerspiegeln, wäre der Volkspartei die Absolute gewiss. Sebastian Kurz wohin man blickt. Die anderen Parteien sind kaum präsent. Hier und da ein Aushang der Grünen. Hier und da ein verwaister Christian Kern.
Das Land zwischen der Donau und der Grenze zu Tschechien ist seit jeher schwarzes Kernland. Vor allem in den ruralen Gebieten außerhalb der Ballungszentren kann die Volkspartei auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. In den kleinen, christlich geprägten Bauerndörfern gibt es nur eine Partei. Sie sind die Elementarteilchen der ÖVP. Die kleinste Einheit des Parteiapparats. Ihre Einwohner haben schon immer die Volkspartei gewählt, genauso wie ihre Eltern. Und deren Eltern auch. Doch wie gefällt den Landwirten das neue Gesicht der ÖVP? Was sagen sie zum oft propagierten neuen Kurs, der alles ändern will, der die vergangenen 31 Jahre Regierungsbeteiligung am liebsten für null und nichtig erklären möchte?
Der Städter würde "Kaff" sagen
Loibersdorf ist genauso ein Ort. Der Städter würde "Kaff" sagen. Von Wiesen, Feldern und Wäldern umgeben schmiegt sich das Dorf in die hügelige Landschaft. Acht Bauernhöfe, eine Kapelle, eine Handvoll Einfamilienhäuser, in denen Angehörige der Bauernfamilien wohnen. Das war´s. Kein Geschäft, keine Bäckerei, keine Post, kein Zigarettenautomat, nicht einmal ein Wirtshaus.
Dafür feiern die Loibersdorfer von Zeit zu Zeit Feste. Am ersten Mai stellen sie einen Maibaum auf. Zur Sonnenwende zünden sie ein Lagerfeuer an. Im Frühling verkosten sie selbstgepressten Most. Und weil der Zeitgeist auch hier nicht haltmacht, laden sie seit einigen Jahren zum Oktoberfest.
Eine ausgeräumte Traktorengarage hält als Bierzelt her. Die gezimmerte Bar schützt eine Tischdecke aus Plastik. Sie ist mit Logos der ÖVP bedruckt. Den alten Logos der ÖVP – gelbe Schrift auf schwarzem Grund. Nichts hier ist Türkis. Eine zweiköpfige Band spielt Volksmusik. Manche Gäste tragen Tracht. Das Gesprächsthema des Abends ist die Nationalratswahl.
Doch für Flüchtlinge und Schmutzkübel interessiert sich hier kaum jemand. Die medial breitgetretenen Themen sind bestenfalls zweitrangig. Sicher, man könne nicht völlig unbegrenzt Flüchtlinge ins Land lassen, aber ihnen nicht zu helfen, sei auch keine Option. So die einhellige Meinung am Biertisch. Und so hilft man in Loibersdorf selbst auch. Sechs Flüchtlinge lebten vor einem Jahr hier, mittlerweile sind es zwei. Sie sind integriert. Man hilft ihnen bei Behördengängen, unterstützt sie, wo man kann. Auch heute sitzen sie bei den Bauern. Die zwei Iraner wurden als Christen in ihrem Heimatland verfolgt. Die Religion verbindet sie mit den alteingesessenen Familien. Würde man Moslems genauso helfen? "Ja sicher, wenn sie gemäßigt sind", sagt Stefan, Sohn eines ansässigen Bauern. "Doch sobald die Religion in Richtung Islamismus kippt, ist das nicht mehr akzeptabel."
"Nichts als Hetze"
"Was die FPÖ macht, ist nichts als Hetze", wirft Jürgen in das Gespräch ein. Der Mittzwanziger ist Gemeinderat der ÖVP. Wie einige jüngere Dorfbewohner hat er in Wien studiert und ist nun aufs Land zurückgekehrt. In einigen Jahren wird er den elterlichen Hof als Nebenerwerbsbauer übernehmen. Kurz und Strache seien keinesfalls vergleichbar. "Auch wenn Kurz jetzt einige Positionen der FPÖ aufnimmt, wird er als Kanzler einen Gang herunterschalten. Das ist jetzt Wahlkampf. Da wird zugespitzt."
Hört man hier leise Kritik am repressiven neuen Stil der ÖVP in Sachen Flüchtlingspolitik durch? "Die größte Leistung von Kurz wird es sein, Strache als Kanzler verhindert zu haben", prognostiziert er trocken. "Das hätte Mitterlehner wohl nicht geschafft." Trotzdem wäre ihm dessen sachlicherer Stil lieber gewesen. Und das nicht aus Lokalpatriotismus. Ob der Spitzenkandidat, wie der frühere ÖVP-Chef Mitterlehner, aus dem Mühlviertel kommt, oder, wie Kurz, aus Wien, sei ihm herzlich egal.
"Mitterlehners Politik war ruhiger. Bei Mitterlehner stand das leidige Asylthema nicht im Mittelpunkt, sondern etwa die Senkung der Steuern." Auch an Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Obmann des ÖVP-Parlamentsklubs Reinhard Lopatka lässt er kein gutes Haar. "Ich würde mir wünschen, dass sie nicht in der nächsten Regierung sind. Bei ihnen steht das parteipolitische Zanken im Vordergrund. Jeden Vorschlag der Gegenseite lehnen sie prinzipiell ab, egal ob er gut ist oder schlecht."
Alternative KPÖ
Einige Gäste stehen um das Lagerfeuer vor dem Garagentor. Weißwürste schwimmen in einem Metallkessel über den Flammen. Auch hier wird über Politik gesprochen. "Ich habe mir wirklich überlegt, die KPÖ zu wählen", sagt Werner, ein pensionierter Dorfbewohner. "Unser Grundproblem ist die unfaire Verteilung des Geldes. Das reichste Prozent der Österreicher besitzt so viel wie die ärmsten 40 Prozent", sagt er und zieht an einer Zigarette. Klassenkampf im Bauerndorf? Scheint so. Das Thema könnte auch in einer linken Gewerkschaftssitzung behandelt werden.
Trotz allem wird die ÖVP bei der Nationalratswahl am Sonntag in Loibersdorf mit großem Abstand die meisten Stimmen erhalten. Man wählt sie mit einem weinenden Auge. Schließlich verdanken die Bauern der Volkspartei viel. Sie setzt ihre Interessen durch, gibt den Bauern eine starke Lobby. In den 60er-Jahren waren knapp 20 Prozent der Erwerbstätigen Bauern, heute sind es vier Prozent. Doch ihre politische Macht ist in diesem Zeitraum nicht geschwunden. Das verdankt die Bauernschaft der ÖVP. Und das vergisst sie ihr nicht. Kurz, Sobotka, Lopatka hin oder her.
Die Landstraßen des Mühlviertels werden bei Wahlzeiten auch in Zukunft Pyramiden aus Heuballen zieren. Mit ÖVP-Logo versteht sich.