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"Mit zuwarten riskiert man mehr Klimatote"

Von Bettina Figl

Politik
Wien gilt vielen als lebenswerteste Stadt der Welt.
© mdworschak - stock.adobe.com

Klima, Bildung, Wirtschaft, Integration: Was muss passieren, damit Wien lebenswerteste Stadt der Welt bleibt? Die Thinktank-Chefinnen Barbara Blaha und Monika Köppl-Turyna sind sich in vielen Punkten einig - aber nicht in allen.


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Gute Infrastruktur, hohe Luft- und Wasserqualität, politische Stabilität, Sicherheit. Aus diesen Gründen wird Wien Jahr für Jahr zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Doch die Corona-Krise hat Wien hart getroffen, und dann ist, wenige Stunden bevor der zweite Lockdown in Kraft getreten ist, die Stadt auch noch zur Zielscheibe eines Terroranschlags geworden. Die Unsicherheit in der Bevölkerung ist groß. Kann man sich in Wien noch sicher fühlen? Was muss passieren, damit Arbeitsplätze erhalten bleiben? Wie können wir Schulschließungen und einen dritten Lockdown verhindern? Darüber, und über steigende Temperaturen und Wohnkosten, diskutierten die Denkfabrik-Chefinnen Barbara Blaha und Monika Köppl-Turyna.

"Wiener Zeitung": Die neuen Maßnahmen treffen Gastronomie und Hotellerie, die sich bis heute nicht vom Frühjahr erholt haben, hart. War der neuerliche Lockdown die richtige Entscheidung?

Monika Köppl-Turyna: Es war die einzig mögliche Entscheidung. Manche sagen, sie kam sogar zu spät. Wirtschaftlich müssen wir die Prognosen vom Sommer jetzt weiter nach unten revidieren, wir rechnen mit einem Minus von etwa neun Prozent, aber das hängt stark von der Dauer des Lockdowns ab. Ich glaube ja, dass er länger als einen Monat dauern wird. Wir werden auch die Prognosen für das nächste Jahr revidieren müssen. Wir sind im Sommer von einer Erholung ausgegangen, die es wahrscheinlich nicht geben wird.

Barbara Blaha: Wenn wir die Gesundheitskrise nicht in den Griff bekommen, hilft das der Wirtschaft auch nicht, sondern wir riskieren damit hohe Infektionszahlen, Übersterblichkeit, und eine Überlastung der Intensivstationen. Wenn ich Familienmitglieder habe, die vom Coronavirus betroffen oder sogar daran verstorben sind, bin ich sicher nicht konsumfreudig. Ich will die Gesundheits- und Wirtschaftskrise nicht gegeneinander ausspielen.

Köppl-Turyna: Länder, die die Gesundheit im Griff hatten, kamen im Frühjahr auch wirtschaftlich am besten durch die Krise. Menschen konsumieren in Krisenzeiten nicht gerne, unabhängig von Regierungsmaßnahmen.

Blaha: Das zeigt auch die Sparquote, die steil nach oben geht.

Wie können wir verhindern, dass die Arbeitslosigkeit ansteigt?

Blaha: Die Gastronomie und der Tourismus haben im ersten Lockdown sehr wenig auf Kurzarbeit gesetzt, mit hoher Arbeitslosigkeit ist hier leider wieder zu rechnen. In diesen Branchen gibt es die instabilsten Beschäftigungsverhältnisse, viele arbeiten geringfügig, das heißt sie können gar nicht auf Kurzarbeit umsteigen. Im Frühjahr hat es 14 Tage gedauert, bis Kurzarbeit verfügbar war. Das ist diesmal besser.

Köppl-Turyna: Im Frühling hat die Jahreszeit für uns gearbeitet, jetzt arbeitet sie leider gegen uns. Etwa in der Baubranche wird die Arbeitslosigkeit saisonbedingt steigen. Ja, die Gastronomie hat Kurzarbeit nicht wirklich benutzt. Vielleicht wird das mit dem Umsatzersatz, mit dem behördlich geschlossene Betriebe bis zu 80 Prozent ihrer Kosten rückerstattet bekommen sollen, anders, und Mitarbeiter können erhalten bleiben. Ich hoffe, dass wir bald mehr über diese Maßnahme erfahren.

Blaha: Meine Sorge ist, dass es beim Umsatzersatz, wie bei der Kurzarbeit im Frühjahr, zu lange dauern wird, bis Rechtssicherheit geschaffen ist. In zwei Wochen sind die Leute bereits ohne Job. Das hätte man auch schon über den Sommer vorbereiten können. Andere Länder haben im Frühjahr vieles besser gemacht; etwa in der Schweiz wurden zuerst Hilfen ausbezahlt und erst dann zurückgeholt, falls sie falsch ausbezahlt wurden. Es gibt zunehmend Kritik an Maßnahmen, die eigentlich helfen sollen. Die Regierung sollte aufpassen, dass die Menschen nicht das Gefühl bekommen, dass sie übrigbleiben.

Wenn die Infektionszahlen nicht sinken, werden Schulen wieder schließen und auch jüngere Kinder wieder auf Home Schooling umsteigen müssen. Wie sehen Sie das?

Köppl-Turyna: Die Regierung hat evidenzbasiert reagiert, indem nur die Jugendlichen ins Distance Learning geschickt wurden, denn ältere Kinder sind bei der Verbreitung des Virus problematischer als jüngere.

Monika Köppl-Turyna, neue Direktorin der Denkfabrik "Eco Austria", diskutierte mit Barbara Blaha, Chefin der Denkfabrik "Momentum Institut".
© Studio Weinwurm, I. Pertramer

Blaha: Ich hoffe, dass es uns erspart bleibt, aber falls Schulen und Kindergärten wieder schließen, muss sich die Regierung für berufstätige Eltern mehr überlegen als Corona-Sonderbetreuung ohne Rechtsanspruch (nachdem das Interview geführt wurde hat der Gewerkschaftsbund angekündigt, dass der Rechtsanspruch kommen wird, Anm.). Eine Idee wäre Corona-Elternteilzeit, bei dem Lohnanteile ersetzt werden wie bei Kurzarbeit.

Köppl-Turyna: Eine neue Studie zeichnet ein sehr düsteres Bild: selbst in Ländern, in denen es besser funktioniert hat als in Österreich, wo digitale Infrastruktur vorhanden war, haben Kinder im Home Schooling wenig bis nichts gelernt. Die Auswirkungen werden sich erst in zehn bis zwanzig Jahren zeigen.

Inwiefern? Wird die soziale Ungleichheit dadurch weiter steigen?

Köppl-Turyna: Das sehen wir jeden Sommer, weil manche Kinder in den Ferien mehr gefördert werden als andere, und die zwei Monate im Sommer sind ja nicht einmal Lernzeit. Schulschließungen während dem Schuljahr haben Auswirkungen auf Einkommen und BIP, aber auch auf politische Teilhabe oder Kriminalität.

Blaha: Die Schulen sagen zum Teil, sie erreichen Kinder aus bildungsfernen Schichten einfach nicht. Es scheitert nicht daran, einen Laptop zur Verfügung zu stellen, sondern an der Struktur rundherum. Wir müssen uns überlegen, wie wir soziale Ungerechtigkeit, die ja schon während dem normalen Schulbetrieb verfestigt wird, verhindern können. Beim Home Schooling gibt keinen Plan aus dem Bildungsministerium, über den Sommer ist nichts passiert.

Was schlagen Sie vor, um das Bildungssystem zu verbessern?

Köppl-Turyna: Österreich gibt insgesamt viel Geld für Bildung aus, im Bereich der Kindergärten sind die Ausgaben aber niedriger als im OECD-Schnitt. Dabei bringt hier jeder Euro viel mehr als in der AHS oder Mittelschule. Ja, es ist problematisch, wenn Schulkinder in Wien schlecht Deutsch sprechen, aber in der Schule anzusetzen ist zu spät. Wir brauchen bereits im Kindergarten kleinere Gruppen und mehr Sprachförderlehrer. Wieso bekommen private Einrichtungen von der Stadt weniger Geld als städtische, obwohl zwei Drittel der Wiener Kinder einen privaten Kindergarten besuchen? Und wieso bekommt man keinen Ganztagsplatz im städtischen Kindergarten, wenn ein Elternteil nicht arbeitet? Viele Kinder würden profitieren, wenn sie am Nachmittag noch ein paar Stunden länger im Kindergarten Deutsch sprechen könnten.

Blaha: Das kann ich alles unterstreichen. Was mich frustriert ist, dass sich seit Jahrzehnten fast nichts ändert, obwohl wir genau wissen, was es braucht: Kleinere Gruppen, Gesamtschule und Ganztagsschule, vor allem in verschränkter Form (bei der Unterrichts-, Lern- und Freizeiteinheiten abwechseln, Anm.). Wir müssen uns aber von der Idee verabschieden, dass mehr Bildung alle sozialen Ungleichheiten löst - das schafft selbst das beste Bildungssystem der Welt nicht. Mehr Verteilungsgerechtigkeit bringt auch mehr Bildungsgerechtigkeit.

Köppl-Turyna: Das sehe ich anders. Für mich steht Chancengleichheit an erster Stelle. Wenn noch Bedarf ist, kann man mit sozialen Instrumenten abfedern. Studien zeigen die starke Korrelation von Schulautonomie und Pisa-Ergebnissen, Schulen brauchen mehr Autonomie. Gehen in einer Gemeinde viele Kinder aus schwierigen Verhältnissen zur Schule, soll diese mehr Mittel bekommen. In der Schweiz werden Gelder nach nachvollziehbaren Kriterien vergeben. Dazu bräuchten wir mehr Transparenz, derzeit gibt es im Bildungsbereich aber sehr wenig Datenaustausch.

Der Föderalismus hat sich auch in der Corona-Krise gezeigt...

Köppl-Turyna: Ja. Wir wissen etwa nach wie vor nicht, wieviele Intensivbetten tatsächlich bereitstehen, weil es keine Stelle gibt, die diese Zahlen zentral erfasst - und das im 21. Jahrhundert! Wir müssen in der Lage sein, soetwas digital zu ermitteln. Auch der Datenaustausch zwischen den Behörden und den Bundesländern funktioniert nicht.

Wie ist es während der Krise kleineren Gemeinden ergangen?

Die Gemeinden haben unter dem Steuerausfall sehr gelitten, aber der Bund kann die Kosten nicht auf Dauer übernehmen. Österreichs Gemeinden haben, anders als in Skandinavien, kaum Autonomie. Sie dürfen relativ frei Geld ausgeben, aber keine Steuern einnehmen. Das ist auf Dauer schädlich. In Österreich bekommen manche Städte und Gemeinden mehr Geld als andere, und man weiß oft nicht warum. Wir brauchen hier mehr Transparenz.

Blaha: Statt einem Transparenzgesetzt haben wir ja noch immer das Amtsgeheimnis. Die Regierung hat hier viel versprochen, ich erwarte einen großen Wurf spätestens 2021. Ein absurdes Beispiel: Vor kurzem wollte ein Parlamentarier wissen, welche Rettungspaket-Hilfen die Gemeinden bekommen haben. Das Finanzministerium hat das aufgrund von Datenschutz nicht offengelegt. Pflege, Bildung, Klima: hier stehen große Investitionen an. Aber in der Krise sind Einnahmen weggebrochen, und der Bund legt erst dann etwas drauf, wenn die Gemeinde einen Teil selbst stemmt, weshalb finanzschwache Gemeinden auf wichtige Investitionen verzichten. Das hat negative Langzeitfolgen, etwa beim Klima.

Eine Prognose lautet, dass die Temperatur in Wien bis 2050 um 7,6 Grad steigen könnte. Welche Klimapolitik braucht es hier?

Blaha: Die Wahlkampf-Diskussion, ob im ersten Bezirk mehr Autos oder weniger hineinfahren dürfen, fand ich fast putzig. Das ist angesichts der Dimension des Problems komplett irrelevant. Die Frage ist bis wann, und nicht ob die Stadt abseits von Anrainern und Lieferverkehr autofrei wird. Hier kann sich Wien von anderen Städten viel abschauen: Paris will in den kommenden fünf Jahren 60.000 Parkplätze abbauen. Auch Amsterdam war nicht immer die Fahrradstadt, dahinter stand gezielte Verkehrspolitik. Bei thermischer Sanierung oder Photovoltaik könnte die Stadt Wien, die aufgrund der Gemeindebauten größte Vermieterin in Mitteleuropa ist, Vorreiterin sein. Klar, das kostet eine Stange Geld, aber vor mehr als hundert Jahren war Wien auch mutig und hat viel Geld in gemeinnütziges Wohnen gesteckt. Das Ziel der Stadt Wien sollte sein, bis 2035 klimaneutral zu werden.

Köppl-Turyna: Es gibt wirtschaftliche Instrumente, die man zumindest europaweit dringend einführen müsste: CO2-Steuern oder Emissionszertifikate. In Europa hat sich der Emissionszertifikatehandel in der Industrie bewährt. Davon ausgeschlossen ist jedoch der Verkehr, der nach wie vor der stärkste Emissionstreiber ist. Dies wäre einfacher umzusetzen als die CO2-Steuer, denn Steuerkoordinierung ist schwierig. All diese Maßnahmen haben allerdings regressive Wirkung und belasten Menschen im unteren Einkommensbereich mehr, weil diese etwa mehr für Heizen ausgeben.

Blaha: Ob ich ein Auto besitze ist auch eine soziale Frage. Je reicher man ist, desto eher besitzt man ein Auto, oder sogar zwei. Die Stadt muss aber jenen Leuten zurückgeben werden, die hier wohnen. Wir brauchen mehr Frei- und Grünflächen, diese haben massive Auswirkungen auf das Mikroklima. Jedes Jahr, das wir zuwarten, lässt die Anzahl der Menschen, die an den Auswirkungen der Hitze sterben werden, ansteigen. Das hat jetzt Priorität.

Köppl-Turyna: Wien ist aber auch eine Pendlerstadt, viele kommen aus dem Wiener Umland, hier braucht es mehr Koordination. Der Verkehr in der Stadt sollte so gestaltet werden, dass man in Wien das Auto nicht braucht.

Österreich hat eines der teuersten Gesundheitssysteme. Dennoch sind Ambulanzen überfüllt und es gibt eine Zweiklassenmedizin. Wieso?

Köppl-Turyna: Die OECD hat mehrfach betont, dass wir ein teures, aber ineffizientes Gesundheitssystem haben. Andere Länder erzielen mit weniger Geld bessere Ergebnisse. Hier gibt es auch innerhalb Österreichs große Unterschiede: eine Studie von Eco Austria zeigt, dass Tirol bei weniger Ausgaben denselben Gesundheitsstandard wie Wien erreicht. Das Wiener Gesundheitssystem ist besonders ineffizient: Bei hohen Ausgaben sind die Ergebnisse bestenfalls mittelmäßig.

Blaha: Dass unser Gesundheitssystem in der Pandemie bisher nicht an die Belastungsgrenze gekommen ist und niemand weggewiesen werden musste, lässt mich schon besser schlafen. Der Druck auf die Beschäftigten ist sicher gestiegen: Kassenärzte haben kaum sieben Minuten pro Patient, das ist unattraktiv für Ärzte. Die regionale Gesundheitsversorgung muss ausgebaut werden. Die Frage lautet: Wie schaffen wir es, dass das öffentliche Gesundheitssystem das Beste ist?

Köppl-Turyna: Wir sollten vermehrt auf ambulante und weniger auf stationäre Aufenthalte setzen, müssen die Mittel im öffentlichen Bereich effizienter einsetzen, brauchen Digitalisierung und bessere Kommunikation. Bei den Corona-Testungen war nicht der Test das Problem, sondern die Kommunikation zwischen Behörden und Bundesländern.

Blaha: Mich beunruhigt, dass das Contact Tracing nicht mehr funktioniert. Wie kann es sein, dass wir mehr als 400.000 Arbeitslose, aber zu wenig Contact Tracer haben? Wir müssen Menschen rechtzeitig verständigen, damit sie, wenn sie Kontakt mit Corona-positiven Menschen hatten, in Quarantäne bleiben. Wenn wir genügend Contact Tracer anstellen, bewahrt uns das hoffentlich vor einem dritten Lockdown im Jänner oder Februar.

Kommen wir zum Thema Wohnen: In Wien wird es immer schwieriger, eine leistbare Wohnung zu finden. Was wurde aus dem viel gerühmten sozialen Wohnbau?

Blaha: Wien hat vor langer Zeit aufgehört in sozialen Wohnbau zu investieren und setzt vor allem auf sein historisches Erbe. Jeder dritte wohnt in einer Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung, der geförderte Wohnbau ist auf hohem Niveau. Die Entwicklung steigender Mieten sehen wir überall, auch in Wien.

Aber Familien oder Menschen mit geringem Einkommen können sich keine 2000-Euro-Mieten leisten.

Blaha: Die Flächenwidmung für geförderten Wohnbau war ein wichtiger Schritt, aber nur wenn man neu baut hat das auch eine Wirkung auf die Preise. Hier müssen Leerstandabgaben, Mietpreisdeckel diskutiert und die Eigentumsoption in der Genossenschaft überdacht werden.

Köppl-Turyna: Weil sich Renovierungen bei geringen Mieten nicht lohnen führen Mietpreisdeckelführen zu Leerstand, und dazu, dass Mieten nicht-geförderter Wohnungen steigen. Für mich lautet die Grundsatzfrage: sollen sich nicht auch junge Menschen eine Eigentumswohnung leisten können? Der Hauptgrund für die oft kritisierte Vermögensungleichheit in Österreich ist, dass besonders in Wien viele Menschen in Mietverhältnissen wohnen. Man bezahlt jahrelang Miete und hat am Ende nichts davon. In Polen, wo ich herkomme, wurden nach der Wende Gemeindewohnungen an die Mieter verkauft, und die Stadt hat mit den Einnahmen neue Wohnungen gebaut. Das wäre eine Idee für Wien, natürlich zu einem niedrigeren Preis als marktüblich. In Österreich ist der Wohnungskauf mit hohen Nebenkosten verbunden, daher ist das Mieten tatsächlich günstiger. Wir müssen Anreize für den Bau von Eigentumswohnungen schaffen, nicht immer nur Mieter fördern.

Blaha: Das sehe ich anders. Die Mieten in Wien sind wirklich hoch genug. Wenn Sie sagen, Wohnungskauf sei immer die beste Option, und nur wer in einer Eigentumswohnung wohnt hat es gut im Leben, da widerspreche ich. Öffentlicher Wohnbau ist wichtig, und guter Zustand muss sichergestellt werden. Gerade in Österreich haben wir mit Privatisierungen schlechte Erfahrungen, Stichwort Buwog-Skandal. Hier wurde öffentliches Vermögen zulasten der Steuerzahler verscherbelt.

Die Neos wollen die Einkommensgrenze für Gemeindewohnungen, die derzeit bei 5500 Euro brutto liegt, senken. Eine gute Idee?

Köppl-Turyna: Ja, denn mit einem solchen Einkommen gehört man in Österreich den reichsten drei Prozent.

Blaha: Das ist eine Abwägungsfrage: Will man eine soziale Durchmischung, ich sehe auch die Gefahr einer Ghetto-Bildung...

Köppl-Turyna: Zwischen Ghetto und den obersten drei Prozent ist noch sehr viel Platz.

Blaha: Jemand, der so viel verdient, stellt sich wohl eh nicht um eine Gemeindewohnung an. Sollte er, bevor er so viel verdient hat in die Wohnung eingezogen sein, ist die Frage, ob man ihn dann wieder delogieren will. Relevanter fände ich die Frage der Weitergabe von Gemeindewohnungen.

Wie wir alle wissen hat am Montag ein IS-Anhänger in Wien einen fürchterlichen Terroranschlag verübt. In diesem Fall ist die Integration offensichtlich gescheitert. Welche Bedeutung hat Integration für die Zukunft der Stadt?

Köppl-Turyna: Ich kann nur noch einmal betonen, wie wichtig Bildung für Integration ist. Es sind keine leeren Worte, wenn Ökonomen und andere Wissenschaftler darauf hinweisen, dass Bildung mit weniger Kriminalität und mehr politischer und sozialer Teilhabe korreliert.

Blaha: Ist "gescheiterte Integration" der richtige Begriff für die Radikalisierung einer Person, die in Österreich geboren und aufgewachsen ist? Hier ist eher die Frage zu stellen, was im Bereich der Deradikalisierung nicht gelungen ist. Ein Hinweis dafür könnte sein, was uns die Experten in den letzten Tagen haben wissen lassen: Es fehlt hinten und vorne Geld und Personal. Da müssen wir dringend nachbessern.

Fühlen Sie sich in Wien auch nach dem Anschlag noch sicher?

Blaha: Ja.

Köppl-Turyna: Ich habe in verschiedenen Städten gewohnt, und nirgends habe ich mich so sicher gefühlt wie in Wien.

Monika Köppl-Turyna, Jg. 1985, ist Ökonomin und seit 1. November 2020 Direktorin der wirtschaftsliberale Denkfabrik Eco Austria. Zuvor war sie seit 2015 Senior Economist bei der Denkfabrik Agenda Austria, wo sie Expertin für Föderalismus war. Sie hat an der Universität Wien promoviert und war von 2011 bis 2015 Assistenzprofessorin am Lisbon University Institute.

Barbara Blaha, Jg. 1983, ist Autorin, Germanistin und Gründerin und Leiterin des linken Thinktanks Momentum Institut. Sie ist ehemalige Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft und ehemaliges SPÖ-Parteimitglied.