Der Autor des Buches "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" erklärt, warum er den offenen Brief unterschrieben hat.
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"Wiener Zeitung": Wie kamen Sie zur Initiative?
Bastian Sick: Ich bekam im Mai einen Brief von einem angesehenen Wiener Autor, der mir die Initiative vorstellte und um meine Unterstützung warb. Da er sehr überzeugende Argumente hatte und überdies einen überaus höflichen, formvollendeten Stil und ich das Thema "weibliche Formen" grundsätzlich spannend finde (in grammatischer Hinsicht!), brauchte ich nicht lange zu überlegen und habe ihm meine Unterstützung zugesagt. Meinen Einwand, dass ich als Deutscher mich eigentlich nicht in eine inner-österreichische Debatte einmischen könne, hat der Kollege nicht als Hindernis angesehen.
Ist sprachliches Gendern in Deutschland genauso emotional besetzt wie in Österreich?
Es ist auch in Deutschland ein großes Thema, doch wird die Diskussion hier (noch) nicht so leidenschaftlich geführt wie in Österreich und in der Schweiz. Was daran liegt, dass der Staat noch keine Anstalten unternommen hat, hier verbindliche Vorschriften zu erlassen. Und das ist gut so, denn wir Deutschen haben die Erfahrung gemacht, dass es nie zum Vorteil war, wenn der Staat dem Volk die Schreib- und Sprechweise vorschreiben wollte. Zu oft ist Sprache für die Macht und von der Macht missbraucht worden. Ob unter den Nazis oder dem DDR-Regime: Zensur war immer schädlich. Zuletzt hat das Desaster der Rechtschreibreform gezeigt, dass es besser ist, wenn sich der Staat raushält.
Unterstützen Sie die Initiative aus sprachphilosophischen, soziologischen oder persönlichen Gründen?
Aus allen genannten Gründen. Und auch aus Freude an der Diskussion. Auseinandersetzungen über gutes, besseres, korrektes und politisch oberkorrektes Deutsch sind immer gewinnbringend, denn sie regen zum Denken und Nachdenken an.
An welchem Punkt reichte es?
Dort, wo die Grammatik misshandelt wurde. Wenn aus sächlichen Mitgliedern weibliche "Mitgliederinnen" erzwungen wurden. Das ist schlechtes Deutsch: Da können die weiblichen Mitglieder noch so schön sein, als "Mitgliederinnen" werden sie hässlich.
Würden Sie "und Töchter" in einer Hymne singen, wenn das aus Gender-Gründen eingefügt worden wäre? In Österreich ließ "Volksrocker" Andreas Gabalier die Töchter weg und löste eine Lawine der Empörung aus - und erhielt mehrheitlich Zustimmung.
Wenn es der Wille des Volkes ist, dass die Hymne entsprechend geändert wird, wäre ich der oder die Letzte, der/die sich einer solchen demokratisch beschlossenen Änderung entgegenstellte. Es ist daher die Frage: Ist dies wirklich der erklärte Wille einer deutlichen Mehrheit des Volkes? Hat es darüber ein Referendum gegeben? Die Hymne ist zu wichtig, um sie irgendwelchen Ausschüssen und Gremien zu überlassen. Darüber kann nur das gesamte Volk abstimmen.
Der offene Brief ist hart formuliert. Es ist von "kämpferischen Sprachfeministinnen" oder "diktatorischen Regimen" die Rede. Ist das nicht despektierlich gegenüber Vorkämpferinnen für Gleichstellung, die das Binnen-I durchsetzten?
Niemand hat das Binnen-I durchgesetzt. Zum Glück! Es wurde erfunden und propagiert, und manche machen es, aber "durchgesetzt" würde ja bedeuten, dass nach und nach alle klassischen Werke umgeschrieben werden, so wie Pippi Langstrumpf, bei der der "Negerkönig" durch einen "Südseekönig" ersetzt wurde. Wenn Schillers "Die Räuber" als "Die RäuberInnen" neu aufgelegt wird, dann erst hat sich die Binnenmajuskel durchgesetzt. Dann bin ich hoffentlich lange tot.
Die "Hochschüler_innenschaft" schrieb in einer Reaktion: "Wir sind entsetzt, dass im 21. Jahrhundert ernsthaft gefordert wird auf weibliche Bezeichnungen zu verzichten. Die männlichen Bezeichnungen schließen die weiblichen ganz klar aus. Geschlechtergerechte Sprache ist ein wichtiger Schritt für absolute Gleichstellung von Frauen und ist nicht mehr wegzudenken." Was sagen Sie dazu?
Dass da ein Komma vor "auf" fehlt. Das ist leider typisch für die heutige HochschülerInnenschaft. Die kann nicht einmal etwas dafür, da vernünftiger Grammatikunterricht (einschließlich Zeichensetzungslehre) heute kaum noch stattfindet. Ich bin dafür, bevor wir die Sprache "gendergerecht" verschönern, sie erst einmal wieder orthografisch und grammatisch richtig zu gestalten. Die Geschlechterfrage ist ein Luxus, den man sich nur erlauben kann, wenn man die grammatischen Grundlagen beherrscht.
Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek sagt: "Sprache schafft Wirklichkeit. Weibliche Formen unerwähnt zu lassen und Frauen damit auszublenden, das wäre ein völlig falsches Zeichen."
Dank Alice Schwarzer dürfen wir, wenn es um Steuerhinterzieher geht, die Steuerhinterzieherinnen nicht länger unerwähnt lassen. Das wäre politisch nicht korrekt. Für mich geht es in dieser Debatte jedoch nicht um die Rechte der Frauen, sondern um die Sprach-Ästhetik. Sprache ist ein allgemeines Kulturgut. Es ist anmaßend, ja gefährlich, sie per Verordnung für politische Zwecke instrumentalisieren zu wollen.
Bastian Sick
schwang sich mit seiner "Zwiebelfisch"-Kolumne im deutschen Nachrichtenmagazin "Spiegel" zum Sprachpfleger der deutschen Nation auf. Mit der fünfteiligen Buchserie "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" machte der Journalist und Autor die Grammatik und ihre Abgründe einer breiten Leserschicht zugänglich. Er nimmt darin Floskeln spielerisch aufs Korn und holt die mit falschen Bildern überhöhte Sprache wieder auf den Boden der klaren Bedeutung zurück. Sein aktuelles Buch heißt "Wir braten Sie gern! - ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache" und erscheint im Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi).