Zwei Soldaten wurden suspendiert. | Neue Fotos von weiteren Taten. | Berlin/Kabul/Wien. Es war kein Friedhof, an dem die Soldaten regelmäßig anhielten. Weil auch die Einheimischen mit den Skeletten in der Lehmgrube respektlos umgingen, hätte sich die deutsche Patrouille wenig gedacht, als sie mit Totenschädeln posierte. So rechtfertigt ein beteiligter Bundeswehrsoldat in der "Bild"-Zeitung den Vorfall, der in Deutschland derzeit für heftige Aufregung sorgt.
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An dem Ort bauten die Afghanen Lehm für Ziegel ab und hätten die Totenschädel selbst "umeinandergeworfen". Ein schlechtes Gewissen, vermutet der Zeuge, hätten die Soldaten trotzdem alle gehabt. Der Einsatz bei der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan habe wohl die Hemmschwelle gesenkt.
In jedem Fall, kristallisiert sich mittlerweile heraus, war der Vorgang im Jahr 2003 kein Einzelereignis. Täglich tauchen neue Fotos auf, zuletzt aus dem Jahr 2004. "Bild" teilt mit, noch über Dutzende neue Fotos zu verfügen. Auf einem soll zu sehen sein, wie ein Soldat einem aus verschiedenen Knochen zusammengesetzten Skelett die Pistole an den Schädel hält. Die "Leipziger Volkszeitung" berichtet, das Gelände sei als "ein Art Insider-Tipp" gehandelt worden, der auch an Soldaten aus anderen Nationen weitergereicht worden sei.
Die Empörung in Deutschland ist groß. Zwei Bundeswehrsoldaten sind suspendiert worden, teilte Verteidigungsminister Franz Josef Jung am Freitag mit. Sie gehören zu einer Gruppe von sechs, die am Vorfall im Jahr 2003 beteiligt gewesen sind. Gegen drei weitere, die 2004 für den Fotografen posiert hatten, werde ermittelt. Auch wenn das Ministerium weiterhin von Einzelfällen spricht, wurde ein Offizier nach Kabul in Marsch gesetzt, um sich über Motivation und Ausbildungsstand der knapp 3000 dort stationierten Bundeswehrsoldaten informieren.
Tatsächlich wurde rasch die Frage aufgeworfen, ob die Rekruten mit der Lage in diesem Land nicht überfordert sind. 18 deutsche Soldaten kamen bisher in Afghanistan ums Leben, sechs von ihnen durch gewaltsame Angriffe. Zur Angst gesellt sich der Druck, vor den Kameraden bestehen zu müssen. "Wenn man das nicht mitmacht, heißt es: Du Weichei, was stellst du dich so an", wird der mutmaßlich beteiligte Soldat zitiert. Ein Bundeswehr-Psychologe assistiert: "Ein einzelner Soldat würde so etwas nie machen."
Afghanistan ist kein Ort für schwache Nerven: Nicht nur in der besagten Lehmgrube, sondern allenthalben trifft man in dem vom jahrzehntelange Bürgerkrieg zerrütteten Land auf nur dürftig verscharrte Überreste von Toten. Die Soldaten eines europäischen Landes auf solche Bilder einzustimmen, ist offenkundig schwer. Minister Jung beauftragte am Freitag den Generalinspektor der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, die Einsatz vorbereitende Ausbildung zu überprüfen.
Training ungenügend?
In einem dreiwöchigen Grundkurs werden die Deutschen auf einen Auslandseinsatz vorbereitet, danach folgt eine Ausbildung in der zentralen Truppenausbildung, in der sie auch mit Szenarien konfrontiert werden, mit denen sie in ihrem Einsatzland konfrontiert werden können.
Mittlerweile erfolgt diese Ausbildung unter ärztlicher und psychologischer Aufsicht - eine Konsequenz aus einem Skandal im Jahr 2004, bei denen während dem Training simulierter Geiselnahmen Rekruten misshandelt wurden.
Die Bundeswehr glaubte aber mittlerweile, nicht zuletzt durch ihre Auslandseinsätze ihr Image aufpoliert zu haben. Ende der Neunziger Jahre hatte es mehrere Vorfälle gegeben, die sie in Verbindung zu rechtsextremen Kreise gerückt hatte: Feiern von Adolf Hitlers Geburtstag, "Sieg Heil"-Rufe und Nazi-Parolen in Kasernen rückten die "Bürger in Uniform" in ein schiefes Licht.
Nazi-Untaten während des Zweiten Weltkrieges wird auch der Eliteeinheit der Gebirgsjäger nachgesagt, die jetzt am Hindukusch im Einsatz ist. Bei Mittenwald, wo eine ihrer Kasernen steht, findet Jahr für Jahr ein Treffen der Veteranen statt, dass ebenso alljährlich Zielscheibe von Gegendemonstranten wird. Die Mitterwalder fürchten deshalb durch die Vorgänge in Afghanistan einen neuen Imageschaden für das oberbayerische Städtchen.
Furcht vor Reaktionen
Deutschland fürchtet indessen nicht nur um sein Selbstbild. Vom Karikaturenstreit in Dänemark weiß man, dass auch vergleichsweise geringfügige Anlässe in der moslemischen Welt für große Aufregung sorgen können.
Die afghanische Regierung hat die Totenschändungen bereits scharf verurteilt. Diese Taten widersprächen "islamischen Werten und afghanischen Traditionen". Noch haben die Deutschen eine Atempause: Die afghanischen Zeitungen berichteten über die Vorfälle bisher kaum.