Experten verraten, wie beide erfolgreich kooperieren können.
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Berlin. Irgendwo da draußen gibt es ein Start-up, das gerade dabei ist, seinen Revolver mit einer Kugel zu laden, auf der der Name Ihres Unternehmens steht. Dieser Kugel können Sie nicht ausweichen. Deswegen müssen Sie als Erster schießen!" Diese drastische Warnung des Unternehmensberaters Gary Hamel an etablierte Firmen ist 20 Jahre alt und trotzdem zeitgemäßer denn je. Grund ist die Digitalisierung, die derzeit fast alle Unternehmen unter steigenden Innovationsdruck bringt. Mittelgroße Betriebe suchen daher immer öfter die Zusammenarbeit mit Start-ups, um im digitalen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren.
"Start-ups werden in Zukunft einen entscheidenden Einfluss auf die europäische Wirtschaft haben. Ihre Präsenz hilft dem Mittelstand, in den digitalen Wettlauf einzusteigen - und umgekehrt. So entsteht eine gesunde Symbiose, die europäische Firmen dabei unterstützt, sich in der globalen Digitalwirtschaft stark zu positionieren", prophezeit Philipp Leutiger, Partner des Beratungsunternehmens Roland Berger im Rahmen einer Studie des Alexander von Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG).
Doch wie kann die Kooperation zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups funktionieren? Und welche Kollaborationsmodelle sind am besten geeignet? Diese und andere Fragen versuchen Wissenschafter des Berliner HIIG in ihrer Untersuchung "Kooperationen zwischen Start-ups und Mittelstand" zu beantworten.
Berührungsängste
Gleich zu Beginn identifizieren die Studienautoren Martin Wrobel, Thomas Schildhauer und Karina Preiß die spezifischen Probleme des Mittelstands. "Im Gegensatz zu großen Konzernen haben die meisten Mittelständler keine eigenen Unternehmenseinheiten, die sich ausschließlich mit Innovations-Themen beschäftigen, und sie sind weniger risikofreudig als Start-ups", so Wrobel. Dazu fehlt es Start-ups und Mittelständlern häufig an gegenseitigem Verständnis. Zwar bestehen beim Mittelstand bezüglich Start-ups verschiedene positive Assoziationen wie Mut und Kreativität, aber auch viele negative wie Pleitenanfälligkeit und hohes Risiko.
Dem nicht genug, treffen mit Start-ups und Mittelständlern zwei unterschiedliche Generationen aufeinander. "Start-up-Gründer sind mit dem Internet aufgewachsen und setzten beim Aufbau ihrer Firmen auf agile Methoden. Mittelgroße Unternehmen sind hingegen oft familien- oder eigentümergeführt", so Wrobel.
Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel die Kundenzentriertheit und die Konzentration auf Nischenmärkte. "Zudem sind die Größenunterschiede geringer als zwischen Start-ups und Großkonzernen. Noch dazu werden Start-ups sowie Mittelständler häufig von starken Gründer- und Inhaberpersönlichkeiten geführt. Dies sind aus unserer Sicht gute Voraussetzungen für vielversprechende Partnerschaften", machen die HIIG-Experten Mut zur Zusammenarbeit.
Dating-Regeln
"Mein Ratschlag an etablierte Unternehmen ist: Kauft keine Start-ups, sondern arbeitet lieber mit ihnen zusammen. Kooperiert! Das ist viel einfacher und geht schneller", rät David Holetzeck vom Berliner Crowdfunding-Softwareentwickler Table of Visions. Um erfolgreiche Kooperationen anzubahnen, sollten etablierte Unternehmen jedoch zuerst ihre strategische Ausrichtung festlegen. Das Interesse an passenden Start-ups kann dann über die eigene Webseite, Medienberichte oder Vorträge auf Konferenzen kommuniziert werden. Um Kulturunterschiede zu überbrücken, sind Vermittler wie Universitäten, Beratungsfirmen oder Verbände hilfreich. Temporäre gemeinsame Aktivitäten wie Konferenzen oder Innovation Camps sind wiederum bestens geeignet, sich zu "beschnuppern" und voneinander zu lernen.
Wesentlich ist, von Anfang an einige wichtige Kooperationsleitlinien zu beherzigen. Dazu gehören gegenseitiges Vertrauen, das Pflegen persönlicher Beziehungen, gemeinsame Ziele und Visionen und nicht zuletzt eine gewisse Fehlerakzeptanz. "Infolge der existierenden Unterschiede entstehen häufig Missverständnisse, weswegen eine ehrliche und transparente Kommunikation, sowie ein professionelles Erwartungsmanagement dazu beitragen können, dass man zu jeder Zeit weiß, woran man ist", raten Wrobel und sein Team.
Start small
Hat die Kontaktaufnahme geklappt, folgt die sogenannte Match-Phase, in der man testen sollte, wie die Chancen auf eine langfristige Partnerschaft stehen. Hier raten die Experten zu "pragmatischen und ressourcenschonenden Modellen wie Pilot- oder Testprojekten", die als Experimente verstanden werden können. "Start small, but start", sollte die Devise lauten. "Mit manchen Start-ups machen wir eine Art Dienstleistervertrag: Wir starten mit einem Piloten, um erst mal zu schauen, wie das läuft", schildert Roman Neumann vom Eschborner Finanzdienstleister VR-Leasing AG seine Erfahrungen. "Wenn wir die Lernphase überschritten haben und der Pilot abgeschlossen ist, dann geht es um die Entscheidung, ein gemeinsames Projekt zu machen, das man dann zur Marktreife bringt."
Bleibt die Frage, wie man in der folgenden Partner-Phase mit Co-Creations-Projekten, Lizenzkooperationen, Joint-Ventures oder strategischen Allianzen langfristig erfolgreich kooperieren kann. Die gute Nachricht: Das Krisenmanagement wirtschaftlicher Partnerschaften ist dem zwischenmenschlichen offenbar gar nicht so unähnlich. "Wenn es zu Problemen kommt, muss man sich tief in die Augen schauen können und sagen: Wir müssen das jetzt gemeinsam lösen und nicht aneinander vorbei schweigen", rät Thomas Schubert, Sales Manager des Beratungsunternehmens D-LABS in Potsdam. "Aus diesen ernsthaften Problemen in der Zusammenarbeit wieder herauszukommen, ist oftmals der Grundstein für eine noch viel engere Partnerschaft."