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Mitten im Dritten

Von Christopher Erben

Politik
Dritter Bezirk: 92.000 Menschen wohnen zwischen Donaukanal, Belvedere und der Südosttangente.
© WZ, Moritz Ziegler

Bezirk der Gegensätze und des Miteinanders. Unterwegs zwischen Marktständen, Hochhäusern und einem Abbruchhaus.


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Freitag Früh, vier Uhr. Während die Dunkelheit noch über der Stadt liegt, baut Roland Schätzl seinen Obst- und Gemüsestand am Rochusmarkt im 3. Bezirk auf. "Bis 18 Uhr habe ich heute wieder geöffnet", erzählt er dabei stolz und schlichtet einige Äpfel behutsam auf einer Steige. Mehr als 50 Marktstände gibt es heute noch am Rochusmarkt, einem der kleinsten Märkte Wiens. Roland Schätzle betreibt einen davon und ist einer von zwei Standlern, die hier noch Obst und Gemüse verkaufen. Und er ist einer von knapp 92.000 Menschen, die zwischen dem Donaukanal, dem Belvedere und der Südosttangente heute wohnen.

Tore zur Welt

Lokale, Geschäfte und Parks prägen die jeweiligen Teile und Vierteln und tragen so zum Lokalkolorit des Bezirks Landstraße bei - so auch zu ihrem, dem Weißgerbergrund, strahlt Anna M. (Name der Redaktion bekannt), die bereits seit ihrem sechsten Lebensjahr hier lebt. Die uralte dörfliche Struktur sei daher in vielen nach wie vor intakt. Für die 53-Jährige macht genau das den Flair des heutigen Bezirks aus; machen ihn unverwechselbar und tragen zu dessen Beliebtheit bei. Freunde und Bekannte aus ihrer Kindheit und Schulzeit blieben etwa im Dritten. Anna M.: "Ich begegne ihnen daher immer wieder." Wegziehen - nein, das komme für sie nicht infrage, auch weil sie nur wenige Minuten zur Arbeit brauche.

"Wir sind ein Bezirk, der vieles vereint", sagt Bezirksvorsteher Erich Hohenberger zur "Wiener Zeitung." "Ein Regierungsviertel, ein Diplomatenviertel mit vielen Botschaften, ein Viertel mit Industrie und Gewerbe und ein Bürger- und ein Arbeiterviertel sind hier zu finden." Die Landstraße habe "eine großartige Vielfalt" auf wenig Raum - all das mache den 3. Bezirk in Wien zu etwas ganz Besonderem und zu einem lebenswerten Flecken. Nicht nur die Vielfalt auch das Zusammenleben funktioniere hier besser als anderswo, ist Hohenberger überzeugt; weil die Zuwanderer nicht in Ghettos, sondern über den Bezirk verteilt wohnen.

In den vergangenen Jahrzehnten habe sich im Bezirk vieles zum Positiven gewendet, stellt die Weißgerberin Anna M. fest. Wien-Mitte sei für sie ein gutes Beispiel. Der Bahnhof war früher einfach nur furchtbar und dreckig sowie ein Ort, wo sie sich kaum aufhielt. Heute sei er für den Dritten "ein Tor zum Ersten und zur Welt". Nicht nur hier tat sich einiges - auch in den Grätzln entlang der Magistralen Landstraßer Hauptstraße und Rennweg: Parkanlagen, Schulen und Kindergärten wurden generalsaniert. Auch eine "coole Straße" entstand, berichtet Hohenberger (SPÖ).

Ein Haus ohne Dach

"Nicht alles hier ist ideal. Hinter dem malerischen äußeren Schein verbergen sich oft unschöne Fehlentwicklungen", kritisiert Denkmalschützer und Autor Gerhard Hertenberger, der seit Jahren Wiens Stadtlandschaft dokumentiert und beobachtet. Seine Blicke bleiben daher oft an malerischen Fassaden und Häusern hängen, die viele Geschichten erzählen. Er vermisst aber auch im Dritten ein Einschreiten der Politik gegen spekulative Hauseigentümer, die primär den Profit, aber nicht die Mieter und das Stadtbild im Sinn haben. Die Stadt verschließe gerne die Augen, ist er überzeugt. Stillschweigend toleriere sie diese Vorgehensweise.

An den Politikern lässt der Denkmalschützer kein gutes Haar: Sie würden vor den Wahlen in den Grätzln auftauchen und Reden schwingen. Nach den Wahlen jedoch "kommen sie nicht mehr", merkt er an und bezieht sich auf das "Haus ohne Dach" in der Radetzkystraße, wo demnächst eine weitere Familie den Widerstand gegen den Eigentümer aufgeben und ihre Wohnung verlassen wird.

Dazu Hohenberger: "Der Eigentümer wurden bereits aufgefordert, das Dach und den Ursprungszustand wieder herzustellen." Verkäufe von Häusern könne er nicht verhindern, aber wenn er ahnt, dass spekuliert werde, dann gehe er auf die Barrikaden. Erfahre er davon, dass Bewohner zum Auszug gedrängt werden, setze er sich für ihn ein, so der Bezirkspolitiker, der mittlerweile auf über 30 Jahre Erfahrung zurückblickt. "Gemeinsame mit der Baupolizei."

Pulsierende Brache

"Wir haben auch eine enorme Bautätigkeit", blickt der Bezirkschef auf die vergangenen Jahre zurück. Parkanlagen, Schulen und Kindergärten wurden generalsaniert - bis auf eine im Fasanviertel. Auch eine "coole Straße" entstand im Fasanviertel. Ruhig geworden ist es in letzter Zeit hingegen um das umstrittene Hochhausprojekt am Heumarkt. "Der Ball liegt bei der Unesco", betont Hohenberger, die über den vorliegenden Plan entscheiden muss. Der Turm soll demnach kleiner werden und das bestehende Intercontinental-Hotel aufgestockt werden.

Der Bezirk brauche aber keine Luxus-Türme, sondern leistbaren Wohnraum, kommentiert Autor Gerhard Hertenberger die aktuellen Entwicklungen. Kritisch sieht er auch die "überdimensionalen Klotzbauten", die auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs St. Marx entstehen, wo bald mehr als 11.000 Menschen wohnen und über 45.000 arbeiten sollen. "Hier entsteht ein Stadtviertel, das abends und am Wochenende ausgestorben sein wird", fürchtet Hertenberger.

Diesen Projekten im Erdberger Mais und in St. Marx kann die Kleinpartei Volt, die heuer erstmals bei den Gemeinde- und Bezirksvertretungswahlen in Wien antritt, einiges abgewinnen: Es brauche mehr Wohnraum und Jobs für die schnell wachsende Stadt, so deren Spitzenkandidat Lucas Kornexl. "Durch diese Projekte werde dieser Raum Wiens zu einem modernen und progressiven Beispiel für die ganze Stadt."

Ende ohne Schrecken

Die Glocken der nahen Rochuskirche läutet sechs Mal - der Markttag nähert sich wieder seinem Ende. Auch für Roland Schätzl, der mit dem Abbau des Standes beginnt. Ja, mit der Frequenz sei er sehr zufrieden, erzählt der Marktstandler. Viele seiner Kunden hielten ihm während des Lockdowns die Treue; auch belieferte er einige mit Obst und Gemüse. Wie lange er hier noch den Stand betreiben wird, wisse er nicht, sagt er. Aber es werden bestimmt noch einige Jahre sein, bevor er ihn an seine Söhne übergibt, und er sich nach über 38 Jahren vom Rochusmarkt zurückzieht. Roland Schätzl wirft einen Blick zu den anderen Ständen und zur Rochuskirche: "Ja, für mich ist das hier der schönste Platz im Dritten", strahlt er. "Wenn nicht sogar der schönste Wiens."

Die Landstraße~ Die ehemaligen Vorstädte Landstraße, Weißgerber und Erdberg bilden seit dem Jahr 1850 den dritten Wiener Gemeindebezirk, wo auf insgesamt 7,4 Quadratkilometern heute rund 92.000 Menschen leben. Über die Bezirksgrenzen bekannt sind etwa die Sehenswürdigkeiten Hundertwasserhaus, das Belvedere, der Botanische Garten, das Arsenal und auch der Friedhof St. Marx.